Interview: Freedom Call

By Tinu
 
Musik muss berühren.



Chris Bay und Ilker Ersin starteten nach Moon'Doc, der Truppe zusammen mit Herman Frank (Victory, ehemals Sinner und Accept), den Versuch mit Freedom Call. Heute, nach nicht ganz zwanzig Jahren, kann man mit Recht behaupten, der Versuch ist geglückt. Mehr als nur das! Was zuerst zusammen mit dem damaligen Gamma Ray-Trommler Daniel Zimmermann und dem heutigen Helloween-Gitarristen Sascha Gerstner aus der Taufe gehoben wurde, ist heute eine feste Institution, wenn es um hymnischen Power Metal geht.

Logisch fielen zu Beginn der Karriere die Vergleiche zu Helloween und Gamma Ray reihenweise wie die Blätter im Herbst von den Bäumen. Aber heute ist Freedom Call eine eigenständige Truppe, die immer wieder mit variationsreichen Metal-Songs zu überzeugen weiss. Chris, Ilker, Gitarrist Lars Rettkowitz und Schlagzeuger Ramy Ali machen auch nicht vor einer gut inszenierten und mit viel Humor vorgetragenen Predigt halt, wenn sie auf der Bühne stehen und über «Metal Is For Everyone» singen. Oder tauschen ihren Song mit den Wildecker Herzbuben aus. So kam's, dass Freedom Call eine eigene Version von «Herzilein» spielten und die Wildecker Herzbuben sich den Freedom Call-Klassiker «Warriors» zur Brust nahmen. Was zu diesen beiden "Projekten" führte, berichtet Chris im folgenden Interview. Wichtig! Freedom Call stehen in der Schweiz schon bald wieder auf der Bühne, nämlich am 22. Juli 2017 in Hägendorf bei den "Highland Games" und am 06. Oktober 2017 in Wetzikon in der Hall Of Fame. Das sollte sich niemand entgehen lassen. Aber lest zuerst, was uns Mister Bay zu berichten weiss.

MF: Wie kam's zum Austausch eures Songs mit jenem von den Wildecker Herzbuben?

Chris: Eigentlich relativ klassisch. Von der Produktionsfirma Sony TV-Entertainment bekam ich eine E-Mail. Die habe ich zuerst als Spam betrachtet, denn was will denn schon die Sony von uns (lacht). Ich hab' dann trotzdem mal rein geschaut und fragte mich: "Ist das deren ernst?" Darauf habe ich meine Jungs aus der Band angeschrieben und sie gefragt, ob sie denn Bock darauf hätten. Danach habe ich die Sony angerufen um heraus zu finden, um was es denn genau geht. Da wussten wir ja noch nicht, dass wir uns auf die Wildecker Herzbuben einlassen (grinst). Die Anfrage hatte nur ein TV-Format zum Thema, welches beinhaltete, dass wir einen schon bekannten Künstler aus einer artfremden Richtung auf unsere Art covern und umgekehrt. So sind wir eingestiegen und haben den Namen des Interpreten erst ganz kurz vor dem Treffen erfahren. Na ja, Fernsehen, das ist ja es alles nur ein Fake (grinst). Dann noch RTL 2, wir wollten uns da auch nicht verheizen lassen. Aber wir wussten wirklich bis kurz vor dem Meeting überhaupt nicht, wer die andere Truppe sein wird. Für uns war immer wichtig, dass bei dem Ganzen die Musik nicht plötzlich zum Nebenschauplatz wird. Wir wollten ja nicht beim "Frauentausch" landen (lacht). Schlussendlich war es ein Mega-Spass, und wir haben dies auch nicht aus Bekanntheitsgründen oder dass die Omas von den Herzbuben plötzlich zu uns rüber laufen (grinst) gemacht. Es war für uns eine musikalische Herausforderung, und alles was Spass macht, ist bei uns richtig.

MF: Wie gross war der Aufschrei oder vielleicht die Schelte aus der Metal-Community?

Chris: Die Ausstrahlung war zuerst als Prime-Time mit mehreren Episoden geplant. Allerdings haben sie sich dies doch anders überlegt und wir hatten Glück, dass die erste Sendung überhaupt ausgestrahlt wurde. Dies dann nicht zur Prime-Time, sondern spät nachts. Na ja, es gibt immer die Spassbremsen, die finden alles scheisse, was sie selber nicht hinbekommen (grinst). Oder es ist der Neid oder einfach um rum zu pöbeln. Da motzen alle, dass die Szene schlechter wird und die Clubs schliessen. Hat dann eine Metal-Band die Möglichkeit, diese Musikrichtung in den Mainstream, die Verallgemeinerung, das Fernsehen und die Tageszeitung Landschaft zu bringen, sind alle negativ belastet und motzen. Meine Güte, was wollt ihr denn? Solange man im Untergrund ist, bekommt man den Support, und wenn man plötzlich grössere Hallen füllt, finden diese Leute, dass du eine Kommerz-Scheisse bist. Du kannst es nicht immer allen recht machen, und die ganzen Nörgler meckern eh an allem rum. Am meisten nörgeln sie an sich selber rum, geben dies aber nicht zu. Deswegen haben uns diese negativen Kommentare überhaupt nicht berührt. Auf Facebook… Was da alles abging. Ob wir dies den nötig hätten? Ob wir denn das Geld brauchen? Die Spesen die wir bekamen, reichten für die ganze Fahrerei. Uns ging's nur um den Spass-Faktor. Nach der Ausstrahlung verstummten alle Kritiker. Da war vollkommen "Silencio" (grinst). "Wie war das geil" waren plötzlich die Kommentare. "Wie geil waren Freedom Call und die Wildecker Herzbuben!" Da sieht man dann wieder, wie schlicht gewisse Denkweisen sind.

MF: Dass ihr viel Spass habt, sieht man auch an dieser Papst-Parodie zu «Metal Is For Everyone». Wer hatte dazu die Idee?

Chris: Das passierte alles bei den Proben. Da haben wir auch wieder «Carry On» von «Circle Of Life»-Album reingenommen. In diesem Stück ist die Orgel sehr präsent. Die Atmosphäre war für uns sehr choral und kirchlich. Ein Wort ergab das andere. Das war schon fast Religion (grinst). Persönlich finde ich es sehr wichtig, dass die Leute an den Konzerten unterhalten werden. Auch wenn die Musik ganz wichtig ist, bleibt für mich die Präsentation das "A" und "O". Das ist Showbusiness und eine gute Idee dazu kann nicht kontraproduktiv sein. So ein Part muss zu Freedom Call passen. Auf Teufel komm raus irgendwas zu performen, dass dann zur Person, die es vorträgt nicht passt, ist völliger Blödsinn. Es muss authentisch sein und darf nicht gekünstelt wirken. Das würden die Leute sofort merken.

MF: Gibt es schon einen Masterplan für ein neues Album von euch?

Chris: Vor 2018 wird da sicher nichts passieren. Zuerst spielen wir im Herbst in Japan, vielleicht können wir da noch ein bisschen expandieren? So, dass wir dann unser Gastspielreise auch als Welt-Tournee betiteln dürfen. Das kostet immer sehr viel Zeit, und dies wird von den Leuten immer vergessen. Die Jungs haben in Pratteln wie Zürich gespielt, und jetzt hätten die doch locker Zeit wieder ins Studio zu gehen. Viele Leute bekommen dies gar nicht mit, wo man sonst noch spielt. Ich will mich nicht unter Zeitdruck setzen lassen, sondern es soll ein geiles Album werden, und dazu braucht man auch eine gewisse Zeit zum Sammeln von neuen Inspirationen.

MF: Wie gross war die Unterstützung deiner Eltern bei der Musik?

Chris: Sehr gross! Mein Vater ist Diplomingenieur der Elektrotechnik. Somit eher ein Realist und kein Künstler. Darum fand er meine Idee, Musiker zu werden, alles andere als geil, als ich nach dem Abi sagte: "So, nun werde ich Rockstar!" (grinst). Der Wunsch meines Vaters zu studieren wurde bei uns zu Hause lange diskutiert. Es blieb dann bei der Gesangsausbildung (grinst). Von meiner Mutter habe ich immer Unterstützung bekommen. Sie hat mich auch immer motiviert Musik zu machen. Aus dem Grund, da mein Grossvater mütterlicherseits auch Musiker war, sowie Dozent. Zudem war er Tenor, und so ist da wohl etwas zu mir rüber gesprungen. Zumindest war es meine Mutter gewohnt, dass man auch von der Musik leben kann. Da ich schnell zu einer Profi-Band kam, musste ich meinen Eltern nicht lange auf der Tasche liegen, sondern konnte mein eigenes Geld verdienen. Das ist ein ganz wichtiger Punkt, wenn man sich Rock-Star oder Rock-Musiker nennen will. Rennst du immer zu Papi und bettelst um Kohle, weil du dir eine Flasche Jack Daniels kaufen willst, wird dies nicht lange funktionieren.

MF: Sind deine Eltern heute stolz auf dich und das, was du mit deiner Musik erreicht hast?

Chris: Absolut. Meine Mutter lebt nicht mehr und mein Vater hat auch schon ein gewisses Alter. Aber er ist sehr, sehr stolz auf mich. Was meinem Vater am meisten auffällt, wie viel ich reise und wie oft ich unterwegs bin. Dieses Bewusstsein, in welchen Ländern wir auftreten können, das bleibt hängen. Mit dieser Art von Musik muss man dies zuerst einmal hinbekommen. Südamerika und Asien, da kommen nicht alle Bands hin!

MF: Du schreibst die meisten Songs, produzierst, machst auf der Tour das Tourmanagement. Wäre es dir nicht ab und zu lieber auch mehr abgeben zu können?

Chris: Ich muss sagen, dass ich nicht ein Tourmanager im eigentlichen Sinn bin. Leute, die bei anderen Produktionen den ganzen Tag extrem wichtig herum laufen (grinst) und ihr eigenes Produktionsbüro haben. Meine Bandkumpels sind ja alle erwachsen. Da muss ich ja nicht jedem seine Brote schmieren und die Eier bringen mit einem Glas Milch (grinst). Wir kümmern uns alle um uns selber. Fehlen die Handtücher, dann schauen auch mal Ilker, Lars oder Ramy, wo wir welche bekommen. So zieht sich das durch die ganze Produktion. Ich kümmere mich um die ganzen organisatorischen Dinge, also was die Agentur und die Plattenfirma anbetrifft. Das ist der Deal, den wir haben, aber ansonsten sind wir ein gut funktionierendes Team. Songschreiben, das ist meine Leidenschaft und meine Profession.

MF: Welches ist der beste Song, den du bis jetzt geschrieben hast?

Chris: Da teilen sich immer die Meinungen (grinst). Meine Meinung gilt da auch nur als eine von vielen subjektiven. Den fachlichen oder neutral ausgesuchten besten Track gibt es nicht. Musik ist Geschmacksache, und darum kann man nicht beweisen, welcher denn nun der Beste ist. Aber ich finde, bei den letzten Alben, insbesondere beim letzten «Master Of Lights» gibt es doch einige Lieder, die schon ganz schön zackig sind. «Hammer Of The Gods», der schon als Vorabsingle veröffentlicht wurde, da gibt es von mir… Würde ich diesen Track objektiv betrachten, was ich selbstverständlich nicht machen kann, da ich befangen bin, würde ich sagen, der ist schon ganz rund (grinst). Dazu kommt «Metal Is For Everyone», der für die Leute die eigentliche Hymne ist. Als Metal-Track ist der sehr gut arrangiert, da viel passiert und dieser sehr "catchy" ist. Schlussendlich bleibt auch dieser Song "Underground-Metal". Es bleibt für mich immer eine Herausforderung, Titel so zu arrangieren, dass sie stimmig sind. Da kann eine Nummer auch mal sieben Minuten dauern. Der Track muss für den Zuhörer immer kurzweilig wirken. Dann ist es für mich ein guter Song.

MF: Gibt es heute noch Dinge, welche dich im Musikbusiness ärgern?

Chris: Grundsätzlich ist das ganze Musikbusiness ein Ärgernis (grinst). Es ist eines der schwierigsten Geschäfte, die es gibt. Du kannst auf nichts zählen, und alles ist sehr zäh. Teilweise finde ich es auch ein bisschen verbohrt. Man hängt zu viel irgendwelchen Traditionen oder Dingen nach, die in den 90er-Jahren funktionierten. Dann kämpfst du mit dem Internet und bekommst komische Abrechnungen, weil das Streamen momentan sehr angesagt ist. Es wird zu undurchsichtig, so dass man locker von der Musik leben kann. Durch den vielleicht bald eintretenden Wegfall der physischen Tonträger, weil alles nur noch runter geladen wird… Irgendwas muss ja auf die CD folgen. Die hat mehr als nur ausgedient. Die Plattenverkäufe sind fast kein Faktum des Einkommens eines Musikers mehr. Du musst von den Geldern der Verkäufe die Produktion bezahlen. Diese Vorschüsse sind durch die heutigen Verkäufe auch um einiges geringer geworden. Somit kann man von diesen Geldern nichts mehr für sich abzwacken. Das war früher noch möglich. Die Verkäufe sind dermassen in den Keller gegangen, dass der Verdienst fast ausbleibt. Dafür spielt man mehr Shows und kann so die finanziellen Ausfälle etwas ausbessern. Ärgern tue ich mich übers Business eigentlich nicht. Ich bin nicht Musiker geworden, weil ich dabei reich werden wollte. Willst du viel Geld verdienen, darfst du nicht Mucker werden (grinst). Schon gar nicht Metal-Musiker. Das machst du aus Leidenschaft, weil du Bock darauf hast, und da ist das Business nur ein Nebending.

MF: Ist es denn für dich heute noch ein Privileg Musiker zu sein?

Chris: Definitiv! Speziell, wenn man davon auch Leben kann. Musiker gibt es viele, aber sagen zu können, dass man seinen Lebensunterhalt nur durch die Musik verdient, wenn auch auf verschiedenen Ebenen, finde ich dies ein absolutes Privileg. Du kannst deiner Leidenschaft folgen und dich komplett darauf konzentrieren.

MF: Was war früher für dich wichtig, und was ist es heute?

Chris: Früher wurde alles viel heisser gekocht. Gerade die oberflächlichen Dinge wurden hoch bewertet. Da musste jeder die längsten Haare haben, ich musste am höchsten singen und am schnellsten Gitarre spielen können (grinst). Durch das Alter, aber auch die Erfahrung, hat sich dies alles geändert. Bei der Musik achte ich weniger auf das Handwerk. Sie muss keine Superlative mehr enthalten, sondern mir ist es am wichtigsten, wenn ich einen Song höre, dass er mich berührt. Es muss was Emotionales passieren, das reicht mir schon. Dann bin ich zufrieden mit dem was ich gemacht habe. Da habe ich mich schon fast ein bisschen zurück entwickelt (grinst). Es gab eine Zeit, da konnte ich keine Musik hören, ohne zu analysieren. Was hat der für einen Gitarrensound oder welches Mikrofon wird benutzt?! Ich war nicht mehr in der Lage, Musik einfach nur zu geniessen. Das hat sich wieder gewandelt.

MF: Was sind die Pläne für die Zukunft?

Chris: Wie immer, reich und berühmt werden (lautes Lachen). Aber da arbeite ich schon lange daran. Wir planen die nächsten Alben und feiern bald mal das 20-jährige Jubiläum von Freedom Call. Da werden wir uns mit Sicherheit auch was einfallen lassen (grinst). Sehr wahrscheinlich mehr, als nur ein Bier darauf zu trinken…

MF: …zwei…

Chris (lachend): …genau, diesmal zwei. Langweilig wird uns nicht. Wir sind viel am Touren, unser Radius hat sich vergrössert und wir spielen endlich in Japan. Ich bin mir sicher, dass wir auf dem Live-Sektor noch mehr expandieren werden. So, dass wir noch andere Länder oder Kontinente erreichen können.

MF: Dann wünsche ich viel Erfolg, alles Gute und weiterhin viel Spass durch und mit der Musik.

Chris: Danke Martin, das wünsche ich dir auch, und danke für deinen jahrelangen Support. Wir sehen uns in Hägendorf!