Interview: Him
By Maiya R.B.
Die Finnen von HIM haben in den letzten zwölf Jahren in wunderbar regelmässigen Abständen sechs Studioalben veröffentlicht. Dieser Tage erscheint ihr siebtes Werk, welches natürlich promotet werden will. So kam es, dass Sänger Ville Valo (VV) sich nach Zürich begab, um sich in einer Hotelsuite den Fragen der Medien zu stellen. Leider landete sein Flieger erst mit einiger Verspätung am Flughafen Zürich-Kloten, deshalb hatte Metal Factory nur etwa zehn Minuten Zeit, den charismatischen Musiker auszufragen. Wir haben uns Mühe gegeben, ihn mit den interessantesten Fragen zu konfrontieren, um das Interview dennoch so spannend wie möglich für euch zu gestalten.

VV: Muss ich hier rein sprechen? (deutet auf das Mikrofon des Diktiergerätes)

MF: Ja Ville, genau dort.

VV: Zu wem spreche ich?

MF: Du gibst das Interview für die Leser von Metal Factory.

VV: Aaah, okay! Metal ist eine lustige Sache, was? Irgendwie verschwindet Metal einfach nicht von der Bildfläche, aber trotzdem wird er von den Massenmedien nie richtig akzeptiert. Ich habe mich neulich mit einem Freund darüber unterhalten, dass Metal und Hard Rock hörende Menschen eine unglaubliche Phantasie haben. Es kommt mir so vor, als ob im Gegensatz zu Fans anderer Musikrichtungen unsereins viel mehr liest, sich gestalterisch bestätigt und so. Wer sowas tut, der hat eine überdurchschnittliche Phantasie.

MF: Ein interessanter Gedanke! Ville, wie geht es dir heute?

VV: Auf einer Skala von 4 bis 10 würde ich sagen... 7.5... Ich musste heute früh aufstehen, und mit früh meine ich 6.30 Uhr. Du siehst auch müde aus! Wie kommt es?

MF: Ach, nächtliches Windelnwechseln, füttern...

VV: (schmunzelt) Mütter sind einfach grossartig! Ihr macht einen tollen Job! Ach weisst du, normalerweise gehe ich erst um 7 Uhr morgens schlafen, da ich über eine längere Zeitspanne hinweg an die kalifornische Zeitzone gewöhnt war. Wir waren für die Studioarbeiten in Los Angeles, das macht zehn Stunden Zeitunterschied im Gegensatz zu Finnland aus, deshalb arbeite ich um vier Uhr früh meistens immer noch.

MF: Vor fünf Jahren habt ihr "Dark Light" in L.A. aufgenommen, und nun auch "Screamworks". Wie gefällt dir L.A.?

VV: Es ist eine gute Stadt, wenn man einen draufmachen will. Es gibt eine Menge verrückter Bars, Clubs und auch guter Restaurants. Allerdings ist es auch eine gute Stadt, wenn man sich ganz und gar auf die Studioarbeit konzentrieren möchte. Auf mich wirkt Los Angeles recht friedvoll, jedenfalls im Gegensatz zu Städten wie New York oder London, wo es immer hektisch zu und her geht. Wir haben so lange im kalten und dunklen Helsinki am Album getüftelt, dass wir uns echt auf die kalifornische Sonne gefreut haben!

MF: Die Sonne hat euch offenbar gut getan, denn so wie sie die Früchte der Natur reifen lässt, so liess sie wohl auch eure Musik reifen - ihr klingt ausgefeilter denn je!

VV: Oh, wir sind wie Wein! (grinst) Also ehrlich gesagt habe ich Angst davor, dass wir irgendwann langweilig werden. Vielleicht werden wir das eines Tages, oder womöglich sind wir es für manche Leute ja auch schon. Lass es mich so erklären: Uns liegt sehr viel an der Musik, und wir arbeiten sehr hart daran, immer dorthin zu gelangen, wo wir sein möchten. Wir behalten stets unsere Augen und Ohren offen, deshalb klingt jedes unserer Alben immer ein wenig anders. Verschiedene Vibes, verschiedene Sounds... Weisst du, ich fühle mich alt bei dem Gedanken, dass die Veröffentlichung von "Join Me In Death" nun schon zehn Jahre zurück liegt. Das ist eine so lange Zeit... ein Drittel meines Lebens.

MF: Einen Teil deines Lebens verbringst du ja gerne mit Poesie, die in einigen Fällen auch dein Songwriting beeinflusst. Steckt auch eine poetische Inspiration hinter "Screamworks"?

VV: Ja, das Gedicht "The Hollow Men" von T. S. Eliot, aber nur indirekt. Es ist nicht so, als ob ein Gedicht oder ein Film mich dermassen beeinflussen, dass ich mich gleich hinsetze und einen Song schreibe. Bei mir ist es eher so, dass ein Song plötzlich aus dem Nichts erscheint. Ein Song entsteht bei mir aus meinen Emotionen, die auf der Gitarre musikalisch umgesetzt werden. Die Inspiration kommt dann erst später hinzu, wenn ich mich hinsetze und den Text dazu schreibe. Inspirationen können durch Gespräche entstehen, oder durch Filme... Oh, jetzt hast du mich nachdenklich gemacht! Ich möchte mir lieber keine Gedanken mehr darüber machen, wie die Dinge so werden, wie sie sind. Ich halte es für ein riesengrosses Glück, mit meinen Freunden zusammen Musik machen zu können, die mein Herz schneller schlagen lässt und die mich zufrieden macht. Die Entstehung ist auf gewisse Art magisch, und wenn ich zuviel über die Entstehung nachdenke und sie seziere, dann zerstöre ich sie. Hmmm... (brummelt nachdenklich) Findest du nicht auch, dass man eher durch die alltäglichen Dinge inspiriert werden kann?

MF: Oh, auf jeden Fall!

VV: Du bist eine Mama, dein Kind inspiriert dich sicher auch?

MF: In der Tat!

VV: Alles ist Inspiration, und wenn man ein Händchen dafür hat, dann setzt man sie kreativ um.

MF: Apropos Kreativität... Du bist ein Fan von Salvador Dalí?

VV: Ja! Mehr noch vom Menschen, als von seinen Bildern. Ich kenne mich mit Kunst nicht so gut aus, aber sie zieht mich an. Ich liebe schöne Dinge, die einen um den Verstand bringen. Das muss nicht mal ein Gemälde von Weltklasse sein, es kann auch ein normales Foto sein, das man mit einer durchschnittlichen Kamera schiesst. Aber zurück zu Salvador: Der Mensch fasziniert mich, deshalb wäre es für mich aufregender, wenn ich einen Pinsel in der Hand halten könnte, mit dem er gemalt hat, als das Bild selbst zu betrachten. Das Bild ist ja nur das Resultat, doch der Pinsel ist der Inbegriff für den Prozess der Entstehung, und das reizt mich einfach mehr. Es muss nicht mal Kunstmalerei sein, es kann alles sein. Entstehung an und für sich ist einfach faszinierend, in jeder Hinsicht! Nimm zum Beispiel, hmm... (überlegt)

MF: Songwriting?

VV: Hmm, stimmt! Das ist ja auch eine Art von Kunst. Oder aber Kochen! Nehmen wir als Beispiel mal Berufsköche, die einen Teil ihrer Persönlichkeit sowie eine Menge Phantasie und Leidenschaft in ihre Kreationen stecken, vielleicht sogar noch mehr als wir Normalsterblichen. Das ist für mich Kunst! Andererseits gibt es auch vieles, das im Grunde Bullshit ist und trotzdem Kunst genannt wird. Die grössten Künstler sind wahrscheinlich diejenigen, die sich selber niemals Künstler nennen.

MF: Wie wahr, wie wahr... Bleiben wir mal bei Berühmtheiten: Wenn du mit jeder beliebigen Person zu Abend essen könntest, ob tot oder lebendig, wen würdest du wählen?

VV: Oh, das ist eine gute Frage! Hmm... lass mich überlegen! Also theoretisch würde ein Abendessen mit Edgar Allan Poe gut klingen, aber irgendwie möchte ich ihn gar nicht kennenlernen. Wenn er noch leben würde und ich ihn treffen könnte, dann wäre ich womöglich enttäuscht, weil ich mir durch das Lesen seiner Werke ein Bild von ihm gemacht habe, das sich von der Realität unterscheidet. Man weiss gar nicht mal so viel über Poe, da sein Mythos genau wie bei Jesus erst nach seinem Tod aufblühte. Ach, am besten esse ich einfach mit meiner Mama und meinem Papa zu Abend, denn ihre Gesellschaft wäre wunderbar.

MF: Wo wir gerade vom Essen sprechen, erzähl doch bitte etwas zum Thema Vegetarismus, denn du bist ja Vegetarier.

VV: Ja, das bin ich. Meine Mutter ist seit langer Zeit Vegetarierin, somit ist diese Ernährungsweise in unserer Familie völlig normal. Bei mir fing es an, als ich ungefähr vierzehn war, allerdings war ich danach lange Zeit verrückt nach japanischem Essen und Meeresfrüchten, somit ass ich wieder Fleisch. Das änderte sich dann aber mit Lee Dorrian, dem Sänger von Cathedral, mit dem ich gut befreundet bin. Er ist strikter Vegetarier und hat mich immer wieder dafür fertig gemacht, dass ich Geflügel esse. Das hat gewirkt, denn vor ungefähr fünf Jahren ging ich zu ihm hin und sagte "Happy Birthday Lee, ich werde nie wieder Fleisch essen!" Tja, der Grund für meinen Vegetarismus ist Lee Dorrian (lacht verschmitzt). Ich bin sogar kurz davor, Veganer (totaler Verzicht auf tierische Produkte; Anm. d. Interviewerin) zu werden, da ich sowieso fast keine Milchprodukte konsumiere. Es gab mal eine Zeit, in der ich nur rohes Gemüse und rohe Früchte ass, aber das ist wirklich hart!

Zu diesem Zeitpunkt deutet die charmante Promo-Lady von Warner Music an, dass ich nur noch für eine letzte Frage Zeit habe.

VV: Such dir die längste Frage aus, dann kannst du länger bleiben, hahah!

MF: Oh, jetzt wird es aber schwierig! Hmm... ach, was solls! Ich nehme einfach diese simple Frage hier: Wenn du 24 Stunden lang unsichtbar wärst, was würdest du tun?

VV: Hmmm, also ich bin kein grosser Voyeur, deshalb ist diese Frage eine echte Herausforderung! Wenn ich unsichtbar wäre, dann würde ich wahrscheinlich in unseren Tourbus gehen und mir heimlich anhören, was für einen Mist meine Kollegen hinter meinem Rücken über mich erzählen. Vielleicht würde ich es aber auch ausnützen, um einfach mal von der Welt in Ruhe gelassen zu werden und daheim TV zu gucken. Oder ich würde nur schon nach einer Stunde verrückt werden, wenn niemand mich sehen könnte. Aber als Abschluss würde ich auf jeden Fall in einen Supermarkt gehen und Tomaten stehlen! (grinst)

MF: Nette Ideen! Ville, ich danke dir für das Interview!

VV: Und ich danke dir!


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