Interview: Hypocrisy
By Lucie W.


Aliens, Verschwörungstheorien, Metal-Touristen, schlechte Musik und ein Studio, in das es rein regnet. Mit Peter Tägtgren kann man echt über alles reden und es bleibt immer interessant und unterhaltsam. Metal Factory traf den sympathischen Chef von Hypocrisy anlässlich des Releases von „End of Disclosure“ zum Interview bei seinem Label Nuclear Blast in Donzdorf. Und nein, es wird weder der Ausdruck „Mastermind“ noch das Wort „Genie“ und schon gar nicht „Godfather of all things“ fallen, die da so im Internet im Bezug auf Peter Tägtgren kursieren, denn all das scheint irgendwie an ihm abzuprallen, so bodenständig, wie er rüberkommt.

MF: Hallo Peter, schön dich zu sehen, wie geht’s dir?

Peter: Hallo! Nicht so super, wir haben gestern zu viel Party gemacht und jetzt bin ich ganz schön geschafft.

MF: Dann werden wir gleich mit den Fragen anfangen, damit wir nicht zu lange brauchen und du wieder feiern gehen kannst.

Peter: Oh nein, nein, heute gibt’s keine Party. Ich komme grade von der UK-Tour, bin direkt hierher gefahren und davor war ich nur einen einzigen Tag zu Hause, nachdem wir von Japan zurück gekommen sind, ich bin also ziemlich.... pfff.... (seufzt)

MF: Ich habe gesehen, dass ihr die Barge of Hell gestrichen habt, also warst du zumindest nicht noch in Amerika.

Peter: Ja, das war aber nicht wegen mir, das war wegen Mikael (Hedlund, der Bassist von Hypocrisy, Anm. Red.), er hatte persönlich Gründe die es ihm unmöglich machten, nach Amerika zu fliegen und wir wollten keinen anderen Bassisten haben, denn das wäre irgendwie komisch gewesen.

MF: Kommen wir zu eurem neuen Album „End of Disclosure“, das ich wirklich fantastisch finde.

Peter: Vielen Dank!

MF: Wie würdest du es jemandem beschreiben, der es noch nicht gehört hat?

Peter: Ich würde sagen, es klingt wie Hypocrisy vor zehn Jahren komprimiert in einem Album, es gibt einem das Gefühl dieser älteren Scheiben wieder. Und ausserdem habe ich versucht die Riffs und Melodien etwas simpler zu gestalten, so dass sie einfacher beim ersten Mal hören verständlich sind und direkt ins Ohr gehen, etwas eingängiger und vielleicht sogar kommerzieller wirken, wie auch immer man das nennen will. So haben wir das am Anfang auch gemacht und da wollte ich wieder hin, so dass wenn man das Album zum ersten Mal hört gleich was hängen bleibt.

MF: Das funktioniert auch wirklich gut, es sind einige Ohrwürmer dabei, vor allem der Titelsong. Welche drei Wörter beschreiben das Album ganz kurz am besten?

Peter: „Really“ „Fucking“ „Great“ (lacht). Nein ernsthaft, ich selbst bin mit dem Album sehr zufrieden und ich bin wirklich gespannt auf die Feedbacks. Einige habe ich schon bekommen und da sind gute Meinungen drunter, Legacy hat es sogar zum Album des Monats gemacht, von den anderen Zeitschriften weiss ich noch nicht viel, denn die Release ist ja auch erst in einem Monat. Aber zumindest wir selbst sind sehr glücklich mit „End of Disclosure“ und jetzt liegt es nicht mehr in unserer Hand.

MF: Hast du selbst denn auch einen Lieblingstrack auf dem Album?

Peter: Nein, noch nicht, es ist noch zu neu und noch irgendwie zu nahe, ich brauche meistens eine Weile, bis ich einen gewissen Abstand habe und dann kann ich die Songs besser beurteilen. Ich mag den Track „The Eye“ sehr gerne, aber es kommt auch darauf an, in welcher Stimmung ich grade bin. Es ist schwierig, objektiv über Sachen zu urteilen, an denen man so lange gearbeitet hat.

MF: Habt ihr denn schon Tracks vom neuen Album live gespielt?

Peter: Nein, noch keinen. Und ich kann mich auch gar nicht mehr an alle erinnern um ehrlich zu sein... Also müssen wir eine Woche vor dem Release-Konzert zusammensitzen und alle Songs durchgehen. Wir wissen noch nicht mal, welche Songs wir live spielen werden, darum sind wir immer froh wenn wir Reaktionen bekommen und so wissen, was die Leute gerne sehen würden. Wir werden aber auch älteres Material spielen, das wir noch nie live performt haben, deshalb müssen proben.

MF: Es ist gut zu wissen, dass auch eine Band wie Hypocrisy noch ab und zu Probe hat.

Peter: Ja natürlich, normalerweise sitzen wir drei oder vier Tage bevor die Tour zu einem Album anfängt zusammen. Denn wenn man im Studio etwas einspielt, dann ist das für den Moment und deshalb müssen auch wir dann nochmals ganz von vorne anfangen.

MF: Wirst du denn auch nachdem du schon lange aktiv bist musikalisch heute noch von bestimmten Bands beeinflusst?

Peter: Natürlich werde auch ich von der Musik beeinflusst, die ich höre, sei es nun Metal oder die Top 40 im Radio, alles bleibt einem irgendwie im Kopf und beeinflusst sich auch meine Arbeit. Ich könnte jetzt aber keine bestimmte Band nennen oder einen bestimmten Stil. Ich bin mehr von Hypocrisy beeinflusst und versuche das, was wir bislang gemacht zu haben, noch besser zu machen.

MF: Du bist also nur von dir selbst beeinflusst.

Peter: Wenn du es so sagst, hört sich das irgendwie komisch an (lacht).

MF: Ist es denn schwierig für dich, immer wieder neue Songs zu komponieren, die aber immer noch typisch nach Hypocrisy klingen?

Peter: Eigentlich nicht, denn ich denke, der Sound von Hypocrisy entsteht einfach durch meine Art zu denken, also passiert das ganz von selbst. Es ist schwierig zu beschreiben. Zuerst einmal ist es wichtig, dass man irgendwie in der Stimmung ist, um Musik zu schreiben. Deshalb hat es auch lange gedauert, bis das neue Album fertig war. Natürlich auch, weil ich viel mit Pain zu tun hatte. Vor einem Jahr habe ich angefangen an diesem Album zu schreiben, aber ich habe mir viel Zeit gelassen dabei, habe mal einen Song geschrieben und dann einen Monat vergehen lassen, bis ich mich an den nächsten gesetzt habe. Ich wollte vermeiden, dass ich mich selbst wiederhole mit den Songs.

MF: Du sprachst grade noch von Pain, was ja dein zweites grosses Projekt ist und auch sehr viel Zeit beansprucht. Bist du denn ein Workaholic, wie man oft hört?

Peter: Nein, ich finde eigentlich nicht, denn für mich ist die Musik immer noch wie ein Hobby, es ist keine richtige Arbeit für mich. Es ist viel schlimmer, Dinge zu tun, die du eigentlich nicht machen möchtest. Solange es mir so viel Spass macht, Musik zu schreiben, werde ich es machen, denn es fühlt sich nicht wie Arbeit an.

MF: Gibt es denn nichts an dieser Arbeit, was dich total nervt? Zum Beispiel die vielen Interviews?

Peter: Nein, die nerven überhaupt nicht, ich finde, das ist der leichte Teil, denn jetzt muss ich nicht mehr über das Album nachdenken, also darüber, ob auch alles so tönt, wie ich das gerne hätte und ob ich es hinkriege. Aber als ich das Album am fertig machen war, sind mit die Plattenfirma und die Booking-Agency und alle möglichen anderen total auf die Pelle gerückt, weil ich natürlich mal wieder nicht rechtzeitig fertig war und beinahe die Deadline verpasst habe. Alle wollten irgendwelche Entscheidungen von mir und ich dachte nur noch: „Lasst mich bloss in Ruhe, zum Teufel, ich kann so nicht arbeiten und mich nicht konzentrieren!“ Also habe ich am Schluss einfach keinem mehr irgendeine Antwort gegeben bis das Album fertig war.

MF: Gute Entscheidung, denn so hast du es ja dann doch noch geschafft. Eine ganz andere Frage: interessiert du dich denn auch noch für die Schwedische Underground-Szene und kennst du noch ihre Bands?

Peter: Ehrlich gesagt habe ich die Schwedische Underground-Szene nie wirklich gekannt. Ich war viel mehr in Amerika unterwegs in den späten 80ern und frühen 90ern, als hier alles begonnen hat mit Tape Trading und so. Also kannte ich viel amerikanische Underground-Bands und die Schwedischen Bands habe ich erst in den letzten zehn Jahren kennen gelernt, wenn wir zusammen an Festivals gespielt haben, gemeinsam auf Tour waren oder so.

MF: Du hast ja gerade Tapetrading erwähnt und im Zusammenhang damit hätte ich noch eine Frage. Der Titeltrack vom neuen Album kann ja auf der Website von Nuclear Blast und auf Youtube gestreamt werden. Was hältst du persönlich von diesen neuen Möglichkeiten der digitalen Medien, sind sie eher eine Chance oder vielleicht im Gegenteil sogar der Tot der Musikindustrie?

Peter: Ich denke, dass das ein zweischneidiges Schwert ist. Natürlich ist es nicht toll, wenn man für seine Arbeit nicht bezahlt wird, sprich jeder einfach dein Album illegal gratis downloaded und du leer ausgehst. Andererseits eröffnen die neuen Medien auch viele wirklich gute Möglichkeiten zur Promotion unseres Materials. Wenn man dem Ganzen ein paar Jahre Zeit gibt wird sich sicher von selbst ein Ausgleich finden. Das ist immer so mit neuen Technologien. Die Leute brauchen einfach eine Weile, um daran jeweils die Vorteile zu erkennen und zu nutzen und nicht nur die negativen Seiten zu sehen.

MF: Mit diesen neuen Technologien geht aber auf jeden Fall auch ein Wandel einher. Worin findest du, unterscheidet sich die Metalszene und die Musikindustrie heute von den von vor 20 Jahren?

Peter: Ich glaube, die Musik und die Metalszene bleibt irgendwie dieselbe, erneuert sich selbst immer wieder. Wie zum Beispiel Death Metal, da gab es vor 20 Jahren den Oldschool Death Metal, heute gibt es beispielsweise Hardcore Death Metal, aber das sind musikalische Entwicklungen, die sich von selbst ergeben. Ich denke, das was sich am stärksten gewandelt hat ist tatsächlich, dass man heute digitale Technologien und das damit verbundene Internet nutzen kann. Und natürlich will jetzt jeder Millionen damit verdienen und jeder Idiot kann Musik machen und sie selbst veröffentlichen. Labels werden von Appartements aus geführt, Studios bestehen nur noch aus einem Computer und jeder kann ein Album rausbringen. Dadurch gibt’s natürlich auch unglaublich viel Scheisse da draussen, das ist total irre. Ich sage dazu immer: die Stärksten werden überleben und du kannst immer noch Alben verkaufen, das ist kein Problem. Wenn es gut ist, kaufen es die Leute, wenn es Scheisse ist, dann kaufen sie es nicht.

MF: Was findest du denn persönlich innerhalb vom Metal musikalisch total unnötig? Was kannst du gar nicht leiden?

Peter: Ich hasse alles mit Rap. Das kann ich nicht ausstehen. Ich konnte mich damit nie anfreunden, und habs auch nicht probiert. Sonst kommt mir grad nichts in den Sinn, aber ich bin sicher, es gibt noch vieles andere, dass total unnötig ist.

MF: Welche Musik hörst du dir denn persönlich am liebsten an?

Peter: Ich höre mir wirklich fast alles an, ich bin musikalisch total offen. Von Shania Twain bis hin zu Deicide. Alles, was man an Inspiration braucht, findet man irgendwo.

MF: Das neue Album hat ja auch wieder Aliens und Verschwörungstheorien zum Inhalt, wie man es von Hypocrisy kennt. Ist das für dich nur ein Konzept für die Band oder glaubst du selbst an diese Verschwörungstheorien?

Peter: Ich selbst glaube an diese Theorien und bin mir sicher, dass viel mehr im Gange ist, als wir ahnen. Jeder der neun Songs auf „End of Disclosure“ handelt von einer bestimmten Verschwörung. End of Disclosure bedeutet, dass die diese Geheimnisse offen gelegt werden, dass die Wahrheit raus kommt. In dem Song geht es um die Frage, warum seit 50 oder 60 Jahren unterirdisch geheime Anlagen erbaut wurden. Kommt da etwas auf uns zu, was wir nicht aufhalten können und von dem nur bestimmte Leute wissen? Wollen sich diese Leute vor einer Art Armageddon schützen? Man hat das zum Beispiel letzte Woche in Russland gesehen, als dieser 10-Tonnen-Meteorit runter kam und es überhaupt keine Warnung gegeben hatte. Irgendjemand hat das Ding sicher gesehen, aber keiner hat was gesagt. Vielleicht war das ja erst der Anfang.

MF: Und du denkst auch, dass Aliens schon vor tausenden von Jahren hier auf der Erde waren?

Peter: Ja, davon bin ich überzeugt. Ich denke, die sind mit einem Raumschiff angekommen und haben einen nackten Adam und eine nackte Eva rausgeschmissen und sich dann angeschaut, was dabei rauskommt. (er lacht zwar ein bisschen, ich glaub aber, das ist ihm schon ernst mit den Ausserirdischen) So wie in dem Film Prometheus, diese Idee habe ich im letzten Song „The Return (of the Gods)“ aufgegriffen. Es gibt zum Beispiel auch Hinweise in den Pyramiden, dass Wesen vom Himmel herab gestiegen sind und die Pyramiden sind genau in den gleichen Abständen wie die Sterne im Sternbild Orion errichtet worden. Und in anderen Kulturen gibt es auch viele Hinweise auf die Präsenz von Ausserirdischen, zum Beispiel in Südamerika.

MF: Wenn dich solche Theorien interessieren, dann solltest du unbedingt den Mystery Park von Erich von Däniken in der Schweiz anschauen gehen, in Interlaken. Er hat für verschiedene Theorien Pavillons gebaut, wo er alles visualisiert und erklärt.

Peter: Oh, das hört sich sehr interessant an! Fuck, wir haben eine Einladung fürs Gyger-Museum bekommen, für wenn wir das nächste Mal in der Schweiz sind, aber jetzt will ich vielleicht doch lieber dorthin? Hmmm, mal schauen...

MF: Auf jeden Fall hast du es auch bei dir zu Hause gut, ich habe gelesen, dass du Bürgermeister und Besitzer von Pärlby bist.

Peter: Was, das habe ich gesagt? Ohje... Nein nein, mir gehören nur einige Häuser dort, das macht ja zum Glück noch niemanden zum Bürgermeister. Und Pärlby ist eh ein sehr kleiner Fleck neben einem etwas grösseren Dorf, ich glaube, da wohnen nicht mehr als 30 – 40 Leute, allerhöchstens! Da gibt es dieses riesige Gebäude, das früher eine psychiatrische Einrichtung war, die dann aber in den Achtzigern geschlossen wurde. Danach wurde das Haus für einige Jahre für die Unterbringung von Flüchtlingen verwendet, dann aber zu Wohnungen umgebaut. Und als ich von Amerika nach Hause kam, brauchte ich dringend einen neuen Ort für mein Studio, weil ich vorher in einem Kellerraum war, wo es ständig reingerechnet hat. Ich musste alles auf hohe Beine stellen, weil der Boden immer nass war. Also mietete ich dort was und als das Studio grösser und grösser wurde schlug mir der Eigentümer irgendwann vor, doch einfach das ganze Haus zu kaufen. Leider haben sie einen Stall daneben an jemand anderen verkauft, deshalb rennt jetzt immer noch eine Herde Pferde um mein Haus herum. Aber dafür gehört mir was von dem schönen See, den es dort auch gibt.

MF: Also ist das doch schon fast „Peter-Ville“

Peter: Nein nein, es heisst Lala-Land!

MF: Da kommen ja anscheinend auch viele Metaller hin, nur um dich zu besuchen. Wie findest du das denn?

Peter: Aaach, weisst du, eigentlich ist es schon ganz schön, mal seine Ruhe zu haben, und dann stehen plötzlich fünf langhaarige Typen vor deiner Tür und meinen „Hello! We’re from Italy“ (netter italienischer Akzent, Herr Tägtgren!), oder „We’re from Germany! Can we see the studio?“. Das ist dann etwas blöd, denn wenn ich grade was ganz anderes am machen bin, zum Beispiel Zeit mit der Familie verbringen möchte, dann kann ich nicht einfach alles stehen und liegen lassen und eine Sightseeing-Tour machen. Ein anderes Mal komm ich heim und habe ein Sixpack Bier vor der Tür mit einem Zettel drauf so à la: „Hallo, wir waren da aber du warst nicht zu Hause. Hier ein paar Bier aus...“ - keine Ahnung....Frankreich? Also das ist schon nett, aber ich bin ja auch kein Museum. Ein bisschen Privatsphäre ist schon nett.

MF: Was ist denn die schrägste Frage, die du in einem Interview beantworten musstest?

Peter: Ohje, da gibt es viele...

MF: Eine, die ich gelesen habe war, ob du lieber Aliens oder „Dirty Women“ magst.

Peter: Oh ja, die ist super. Wahrscheinlich Alien-Frauen, die haben sicher 15 Löcher und wenn man in ihren Mund bläst, dann spielen sie Melodien darauf. (Anm. der Red.: es gab keinen Alkohol während des Interviews zu trinken).

MF: Oh je, jetzt wird’s schräg! Also eine ernsthafte Frage: Können wir was Besonderes von den Konzerten der nächsten Tour erwarten?

Peter: Ja, sicher! Es wird eine tolle Show geben und eine geniale Deko, von der ich schon genau weiss, wie sie aussehen soll, sie muss aber noch gebaut werden. Ausserdem werden wir eine grosse Lichtshow und Metallkonstruktionen haben, lasst euch überraschen!

MF: Arbeitet ihr denn live mit Samples?

Peter: Wir haben Keyboards für live, wir wollen nicht noch eine weitere Person, die dann unseren Alkohol wegtrinkt! Das funktioniert super, wir machen das schon seit den Neunzigern so.

MF: Was möchtest du unseren Lesern zum Abschluss noch sagen?

Peter: Kommt zum Konzert, oder ich töte euch!

Hypocrisy spielen am 4. April 2013 im Salzhaus in Winterthur.