Interview: Overkill

By Tinu
 
Wir sind eine Live-Band.


Während Sänger Bobby "Blitz" Ellsworth auf der Bühne den wilden Derwisch gibt, sitzt er bei einem Interview völlig relaxt im Tourbus, erzählt mit seinem schallenden Lachen (das die Ohren zerstört!) aus seinem Leben und dem letzten Meisterwerk «The Wings Of War». Auf der Bühne sind Overkill eine Maschine, eine Machtdemonstration, kurz ein Thrash-Bollwerk, das Seinesgleichen sucht. In meinen Augen ist die Truppe nur noch mit Flotsam And Jetsam, Megadeth und Death Angel zu vergleichen. Der Sänger erlebte aber auch weniger gute Tage, als er an Krebs erkrankte oder gar einen Schlaganfall auf der Bühne erlitt. Dies gesah 2002, als die Jungs den Track «Necroshine» in Deutschland spielten. "The beauty of a stroke is that you don't remember. I don't know what it changed, because I forget how it used to be", gibt ein laut lachender Bobby zu Protokoll. Es ist diese unbekümmerte Art, die immer mit viel Spass vorgetragen wird, sich aber sekundenschnell in Ernsthaftigkeit umwandeln kann, um dann mit einem versteckten Witz wieder die Lockerheit zu präsentieren, die zu Blitz passt.

Gespräche mit Bobby starten immer mit "...my friend from Switzerland, how are you and your daughters?". Er vergisst nie, dass es eine private Seite im Leben gibt, die neben dem Job/der Musik einen weitaus höheren Rang hat. Von ihm könnten sich viele Musiker eine dicke Scheibe abschneiden, da Bobby weiss, dass es Wichtigeres gibt im Leben, als sich selber. Taucht nun ein in die Welt von Bobby, einem Sänger, der die Wege seiner Band, zusammen mit seinem "partner in crime" Bassist D.D. Verni seit 1980 lenkt.

MF: Gibt es eine Story zu eurem Bandnamen?

Bobby: Wir haben uns in den frühen Tagen viele komische Namen ausgedacht. Unser erster war Virgin Killer (lautes Lachen). Wir haben geprobt und ich glaube bloss eine Show gespielt um festzustellen, dass es nicht unbedingt ein guter Bandname ist (lacht). Er stammt logischer-weise von den Scorpions. Wir waren im Haus von D.D. und unterhielten uns über mögliche Ersatznamen. Jemand sagte Overkill, weil wir alle Motörhead-Fans waren. Das wars. Seit 1981, aber nur für eine kurze Zeit waren wir die Virgin Killer (lacht).

MF: Der Schädel mit dem Flügel ist D.D. Idee, aber wieso war der Schriftzug grün?

Bobby: Es war klar, dass alles immer schwarz sein musste, reines Marketing. Wir versuchten rot und probierten weiss aus. Aber grün stach heraus und wurde zu unserem Markenzeichen. Jeder versuchte sich damals zu positionieren. Grün wurde zu einem Eyecatcher und alle wussten, das müssen Overkill sein.

MF: Wo siehst du «The Wings Of War» in der Geschichte von Overkill?

Bobby: Es ist noch zu früh, um diese Frage zu beantworten. Viele sehen es in der Tradition von «Ironbound». Ich bin der Meinung, dass «The Wings Of War» diese Tradition gebrochen hat. Durch Jason Bittner (Schlagzeug) ist ein aggressiveres Element in die Band gekommen. Das Tempo ist unglaublich, wird aber auch immer wieder unterbrochen oder verändert. Ich bin mir sicher, dass das Songwriting sehr gut ist und das Album sicher zum Besten gehört, was wir jemals veröffentlichten. Es geht auf die Zwölf… Was kann ich sonst noch sagen (lautes Lachen). Jahr für Jahr wird sich meine Meinung konkretisieren. Einige Lieder haben das Potenzial, Klassiker zu werden. Ich denke da an «Welcome To The Garden State» oder «Head Of A Pin», mit welchem der Black Sabbath-Groove bei Overkill wieder Einzug hält. Jason hat wirklich viel dazu beigetragen, dass wir noch immer aggressiv und trotzdem variantenreich klingen.

MF: Soundtechnisch habt ihr eine massive Soundwand produziert. Kann da aber ab und zu ein bisschen weniger nicht auch mehr sein?

Bobby: Ich versteh was du meinst. Trotz allem hörst du immer die Instrumente raus, was dem Ganzen Transparenz verleiht. Ich liebe die Produktion. Das Ganze hat einen seriöseren Ansatz, selbst in den moderneren Tagen und verbindet unsere Old-School-Werke mit der Neuzeit. «Distortion Rites» stand zur Auswahl als Titel, oder auch «Last Man Standing». Es war interessant zu sehen, was unser Covermaler Travis Smith für Ideen hatte. Die Geschichte mit den fünf Schädeln, die dann auch auf dem Cover landeten, hat uns förmlich umgehauen. Als würden sie an einem runden Tischen sitzen und essen…

MF: …als würden die Jungs von Overkill an einem Tisch sitzen. Zeigt dies die Band, die in einem Krieg ist?

Bobby: Es gibt eine Mentalität, wenn man live spielt. Es fühlt sich für uns an, als würden wir in den Krieg ziehen. Wir wollen immer "over the top" spielen und auftreten. Als Artisten, versteht sich. Wir sind nicht im Krieg. Overkill sind ein Team, das bereit ist für den Kampf. Es ist eines der Elemente, welches uns immer geholfen hat zu überleben. Auch wenn wir Individualisten sind, bleiben wir eine Einheit. Für eine Band, welche 35 Jahre im Business ist, ist dies nicht unwichtig. Es ist wichtig, dass man sich versteht und Spass hat und in der Umkleidekabine ein Bier trinkt, wenn die Show ein Killer war. Ich muss dabei aber nicht wissen, welchen Pfeffer meine Jungs auf ihr Steak wollen und wie viel (lautes Lachen). Wir haben in den unterschiedlichsten Besetzungen bei Overkill Unterschiedliches miteinander erlebt. Wie auch umgetretene Tische… Früher. Heute würde ich dazu nur eines sagen: "Fuck it!". Ich bin nicht wichtiger, als jemand anderes in der Band, sondern wir als Team funktionieren, und da trägt jeder viel dazu bei.

MF: Das Interessante ist, wenn wir schon bei den Live-Shows sind, dass du auf der Bühne wie ein wildes Tier bist, aber wenn man dich hinter der Bühne sieht, ein absolut ruhiger, geselliger und lustiger Typ bist…

Bobby: …da geht ein Schalter um, der mich völlig irre macht (lacht). Als würde ich zu einen Homerun antreten und bis zu meinem Lebensende rennen müssen. Ab diesem Moment ist alles verrückt. In einem anderen Interview sagte ich: "My youth is going away, but my boy will never" (lautes Lachen). Ich denke auch, dass wir eher eine Live-, denn eine Studioband sind. Wir wissen, was wir auf der Bühne machen und dass dort auch unsere Stärke liegt. Es ist authentisch und nicht aufgesetzt. Wir sind wieder bei diesem Team-Spirit. Fünf Jungs, die genau das Gleiche wollen. Jason hat uns perfekt ergänzt. Er hat in vielen Truppen gespielt, aber fühlt sich bei uns zu Hause. Jeder der seine Arbeit erledigt, macht dies auf seine individuelle Art. Im Studio, haben wir haben schon neunzehn Alben veröffentlicht. Wir versuchen noch immer unser Bestes zu geben und werden dies auch für das kommende Werk tun. Es ist ein natürlicher Akt, dass man versucht immer besser zu werden und sich zu übertrumpfen. Ist dies gelungen, steht man wieder am Anfang und will nochmals besser werden. Es ist das Riff oder der Rhythmus, der dich fesselt und deine Ideen befreit. Es explodiert und ein neues Kapital startet. Wenn wir eine neue Gelegenheit haben, sollten wir sie auch ergreifen. Du wirst bei den Shows sehen, dass es sehr motivierend ist, dass nicht nur die Klassiker gut bei den Fans ankommen, sondern auch die neuen Tracks. Kommt ein neues Album raus, weisst du nie, wie es aufgenommen wird. Es kann verdammt grossartig werden. Das alleine ist Grund genug, mit einem weiteren Werk neue Schritte zu gehen. Ob wir damit nun viel verkaufen oder nicht? Die Plattenindustrie ist am Boden. Na und? Wenn uns was Neues elektrisiert, dann wollen wir dies auch veröffentlichen.

MF: Welches sind deine fünf Lieblingssongs von Overkill?

Bobby: Wow, das ist eine schwierige Frage. "We have so many fucking songs!" Klar wird ein Track vom Debüt dabei sein, weil damit alles begann. Höre ich mir «Feel The Fire» an, erinnere ich mich an die Iron Maiden Einflüsse, die wir damals verarbeiteten. Mit diesem galoppierenden Bassspiel. Für eine junge Truppe war es klar, dass wir nicht nur mit dem Vers-Refrain-Vers-Refrain Muster arbeiten wollten. Unterschiedliche Arrangements sollten eingebaut werden. Ich liebe «Skullkrusher» vom «The Years Of Decay»-Album. Es war die Kombination der verschiedenen Elemente, die wir da vermischten. «Horrorscope» und «Ironbound» gehören dazu. «Necroshine» ist auch ein wichtiger Track für mich, wie auch «Long Time Dying». So, nun hast du die sechs (lacht).

MF: Wie hast du dich über all die Jahre verändert?

Bobby: Ich glaube, das ist das Härteste im Leben, sich einzugestehen, dass man sich verändert (grinst). Ich denke, dass es nicht mehr die Motorradstiefel sind, sondern dass ich intensiver lebe. Ich hatte in meinem Leben die Möglichkeit zu tun, was ich immer wollte. Viele haben nicht mal die Möglichkeit dazu. Ich mache mir Gedanken darüber, wieso gerade ich diese Chance bekam. Dabei versuchte ich zu verstehen, wie das Geschäft läuft und lernte viel. Ich bin glücklich mit dem was ich habe und tue.

MF: Nach dem Krebs und deinem Schlaganfall, was hat sich in deinem Leben verändert?

Bobby: Ich denke nicht viel. Ich verstand, dass ich die Momente, die ich habe, mehr geniessen muss und begann positiver zu denken. Als ich Krebs hatte und im Bikerclub war, als meine Behandlung lief und sie mich für die Operation vorbereiteten… Ein älterer Typ meinte, dass ich keine Pussy sein soll (lacht). "Okay, du hast dieses Scheiss-Problem, aber es gibt eine andere Seite davon. Jetzt befindest du dich mittendrin, aber es gibt dieses danach." Ich meinte nur: "Ohh, der Typ hat recht!" (lautes Lachen). Es hat mir geholfen einzusehen, dass nichts so schlimm sein kann, wie ich meine. Alles was ich tun muss, ist durch das Problem hindurch zu gehen und auf der anderen Seite wieder anzukommen.

MF: Das Schöne ist ja auch, dass deine Stimme nie unter deinen Krankheiten gelitten hat. Was ist das Geheimnis, dass du noch immer so fantastisch singst?

Bobby: Drogen (lautes Lachen), aber direkt von der Apotheke (noch lauteres Lachen). Ja nichts von der Strasse (kreischendes Lachen). Im Ernst, ich bin glücklich, dass es ist, wie es ist! Ich versuche vorsichtig zu sein, ernähre mich gesund und bin kein Fast-Food-Junkie. Mein Zuhause lässt mich verweilen und ausruhen, sofern ich dazu komme (lacht). Dabei versuche ich Stress zu vermeiden und weiss, dass es bessere Abende gibt als andere. Dabei werde ich aber nicht zu meinem grössten Kritiker und sagen: "Oh mein Gott, meine Stimme hat heute Abend versagt" (lacht). Diese Band ist meine Familie, und wenn einer ein Problem hat, dann bin ich für ihn da, wie sie auch für mich da sind. Als ich ein Kind war und eine Band gründete… "How cool is this. FUCK!" Es war eine Familie, die erst mit der Zeit zu einer wurde. Da will ich mich nicht raus nehmen, auch ich musste gewisse Dinge zuerst lernen und umsetzen. Das war eine Entwicklung von einem Teenager zu einem Mittelalter-Junge (lacht). Diese Familie, die Riffs, die Shows, meine Stimme..., das befriedigt unglaublich. Laufe ich in den Umkleideraum und bemerkte, dass jemand angesäuert ist, dann sprechen wir darüber. Das gehört zum Respekt. Spass kann man nachher wieder haben.

MF: Danke für das Interview…

Bobby: …danke dir, es war wie immer absolut locker, willst du noch was trinken? Was machen deine Kinder? Habt ihr Urlaub geplant…