Interview: Paganini
By Chris C.
Marco Paganini ist zweifellos eine der schillerndsten Figuren, die die Schweizer Musikszene je hervor gebracht hat. Immer wieder konnte er mit starken Alben in Erscheinung treten, so wie jetzt auch wieder mit seinem neusten Output "Esoterrorism". Bekannt ist er aber auch durch seine offene undMarco Paganini direkte Art und seinen grundehrlichen Charakter. Marco Paganini ist nicht nur ein toller Musiker, sondern auch eine grosse Persönlichkeit. Ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, gab mir der äusserst sympathische Bündner ausführliche und interessante Auskünfte. (MP= Marco Paganini)

MF: In der Werbung zu deiner aktuellen Platte steht "Enfant terrible der Schweizer Musikszene". Siehst du dich so?

MP: Nein, ich würde gern mal eine Geschichte hören die wahr ist...

MF: Ist diese Bezeichnung denn nicht von dir?

MP: Nein, quatsch, na gut ich meine, man muss ja ein Image haben. Schön, dass ich dieses Image habe, nur es bringt mir nicht viel, dass ich dieses Image habe. Das Verrückte ist, wenn Slash oder Axl oder weiss ich wer, Nikki Sixx, mit einer Flasche Jack Daniels rumläuft, ist er ein cooler Typ. Wenn ich mit einer Flasche Jack Daniels rumlaufe, bin ich ein Scheiss-Junkie Alkoholiker, der in die Klinik gehört, und diesen Unterschied muss mir mal jemand erklären.

Was aber die meisten Leute nicht wissen (ich weiss es, weil ich "ein bisschen" auf Tournee war) ist, dass da gar kein Jack Daniels, sondern Eistee drin ist! Zum Beispiel, wenn der Van Halen Bassist sein Solo spielt und eine ganze Flasche Jack Daniels leer trinkt, die übrigens aus Plastik gemacht ist, damit das Glas nicht zu schwer auf den Zähnen liegt, der also nur eine Flasche Eistee leer trinkt und alle die Arme in die Höhe heben, weil sie tatsächlich glauben, dass der Wahnsinnige dreiviertel Liter Jack Daniels trinkt. Die Leute glauben solche Sachen immer noch, was soll ich sagen, lasst euch helfen. Verstehst du, was ich sagen möchte, wenn jemand anders so was macht, ist das O.k., wenn ich das mache, ist das nicht O.k., und das möchte ich mal von jemandem erklärt haben, warum. Aber "Enfant terrible"..., keine Ahnung, das schreiben sie schon, seit ich denken kann. Aber ehrlich gesagt, würde ich gerne mal eine Geschichte hören, die wirklich stimmt. Es gibt nämlich keine. Ich möchte zum Beispiel jemanden sehen, dem ich Geld schulde oder weiss ich was. Oder irgend jemand, dem ich etwas angetan habe, der soll sich bei mir melden: Es gibt keinen, du wirst keinen finden.

MF: Deine aktuelle Scheibe heisst "Esoterrorism". Was bedeutet dieser Titel?

MP: "Esoterrorism" ist ein Wortspiel von mir. Es geht darum, ich habe eine Amerikanerin geheiratet, aber ich hasse Amerika, ich habe es schon immer gehasst, auch als ich dort gewohnt habe. Es ist einfach ein Scheiss-Land. Für mich ist es so, ich sehe das alles in dem Rahmen, wie ich die Schweiz sehe. Wie die Polizei in der Schweiz, ist Amerika die Scheiss-Polizei der Welt und das kotzt mich an. Um was es geht, ist, dass immer Unschuldige den Schaden haben. Also das heisst "Colatoral damage", wie man so schön sagt, also dass Unschuldige für die Politik irgendwelcher Leute sterben müssen. Wenn man über "Esoterrorism" verfügen würde, dann würde es nur die Leute treffen, die den Scheiss auch verursacht haben, und die unschuldigen Leute wären alle raus. Das ist im Prinzip "Esoterrorism".

MF: Der Sound auf "Esoterrorism" ist ziemlich dunkel, düster, punkig und zeitgeist-orientiert, im Gegensatz zu früher. Hast du den Sound bewusst so verändert?

MP: Früher hatte ich einfach viel mehr Geld zur Verfügung, um eine Platte zu machen. Heute habe ich weniger, darum tönt es jetzt einfach düsterer (lacht). Ich hoffe, dass es nicht noch düsterer wird (lacht), sonst ist es dann echt düster...

MF: "Esoterrorism" hatte auffälligerweise sehr gute, aber auch einige eher schlechte Kritiken. Kannst du dir das erklären?

MP: Sorry, aber wo hast du die Schlechten gelesen?

MF: Die im Rock Hard war ziemlich schlecht.

MP: Nein, das würde ich jetzt nicht sagen, das ist nur eine Frage, was für einen Humor du hast..., Ansichtssache. Ich habe das kritisch angeschaut, aber ehrlich gesagt, ist mir das scheissegal. Ich bin froh, dass meine Platte überhaupt dort reingekommen ist, weil ich weiss, dass soviel tausend Bands versuchen, dort reinzukommen. Ich bin froh, dass man mir wenigstens noch den Respekt entgegenbringt, dass wenn ich schon ein Produkt mache, es wenigstens den Leuten noch vorgestellt wird, dass sie darüber noch selber entscheiden können. Danke, dass ihr mir diese Freiheit gewährt, "merci villmol".

MF: Also ist es wichtiger, dass überhaupt jemand darüber schreibt, egal was er schreibt?

MP: Ja klar! In dem Geschäft, in dem wir sind, ist es scheissegal, ob die Leute gut oder schlecht über dich reden. Wenn sie nicht mehr von dir sprechen, dann hast du ein Problem. Solange sie das noch tun, ist alles O.k. Dann gibt's dich noch, dann bist du noch jemand. Aber wenn jeder sagt "Paganini wer?", dann hast du ein Problem. Das Glück habe ich, dass man mich noch kennt. Ich bin schon neben Leuten im Zug gesessen, die erzählt haben, wie gut sie mich kennen. Was sie mit mir schon alles gemacht haben und die dann ziemlich bleich geworden sind, als ich ihnen meine ID gezeigt habe. Ja weisst du, mein Kollege hat mir das erzählt..., vom Hörensagen...

MF: Wo siehst du deine musikalischen Einflüsse oder anders gefragt: Was hörst du selber für Musik?

MP: Also ich bin jemand (und darauf bin ich stolz), der zehn Wochen im Voraus sagen kann, was die Nummer-1 in den Charts wird. Ich war der Erste, der Jet in die Schweiz gebracht hat, das was Vodafone macht: "You wanna be my girl". Und das neue, "Fuck it" ("Fuck it – I don’t want you back, Eamon – Anm. d. Verf.), da habe ich sofort gewusst, als ich es das erste Mal hörte, das wird ein Nummer-1 Hit. Das ist übrigens die erste Platte seit den Sex Pistols, die nicht im Radio gespielt wird und überall Nummer 1 ist, in den Charts und es ist auch ein geiler Song. Also ich höre eigentlich quer durch den Garten alles. Ich stehe am Morgen auf und dann muss ich zuerst eine Dröhnung Musik haben, aber das kann von Otis Redding bis zu Metallica, Pantera oder auch wieder Bob Marley, Chill-Trance oder egal, einfach alles, was mich gerade antörnt, was mir gefällt, wo ich etwas dabei empfinde. Aber ich mache da keinen Unterschied, Hauptsache es tönt geil.

MF: Deine Page und auch das Booklet von "Esoterrorism" ist alles H.R. Giger-Design...

MP: Ich habe auch den einzigen "Giger-Smart" auf der ganzen Welt! Der wurde zum schönsten Smart des Jahres gewählt, letztes Jahr.

MF: Siehst du einen Zusammenhang zwischen Giger und deiner Musik?

MP: Nein, Hans-Ruedi und ich sind beides Churer und ich kenne ihn, seit ich ein kleiner Junge war, und weil ich ein Churer bin und Hans-Ruedi mich mag..., sagen wir so: Ich mache ab und zu Sachen für Hans-Ruedi, wie jetzt auch bald eine "B.C. Rich H.R. Giger-Serie" kommen wird, das kann ich schon verraten. Du bist der Erste der Welt, der das Schreiben darf. Im Moment arbeitet H.R. Giger also gerade an einer B.C.Rich Gitarre, respektive erarbeitet ein neues Design. Aber wie gesagt, ob daraus etwas wird oder nicht, entscheidet im Endeffekt der Giger-Manager, den er jetzt hat, ein Amerikaner. Aber es ist soweit, dass alles ready ist zum Unterzeichnen. Wir haben ihm schon mal die Gitarren gebracht, er ist dran. Mal schauen, was dabei herauskommt.

MF: "Esoterrorism" ist auf Tyrolis-Music herausgekommen...

MP: Kotz, würg, spuck...

MF: "Detox" kam bei Grüezi-Records raus, beides kleine unbekannte Labels. Warum?

MP: Das waren die einzigen Leute, die damals für meine Musik bezahlt haben. Sie haben sich wahrscheinlich etwas davon versprochen, weil ich bei Polygram und bei CBS war und bei all diesen Labels. Diese haben natürlich meinen Namen bekannt gemacht. Die hatten das Gefühl, sie können mit wenig Geld meinen Namen ausnutzen. Aber Gott sei Dank ist es ihnen nicht gelungen. So musste ich mich wenigstens nicht verkaufen, für diese Schlampen.

MF: Betrifft das auch Tyrolis oder nur Grüezi?

MP: Mit Tyrolis stehen wir im Moment vor Gericht. Tyrolis wird von uns verklagt, weil sie zum Beispiel im Metal Hammer von "Esoterrorism" Inserate gemacht haben, aber nur Tyrolis besitzen die Schweizer Rechte für diese Platte. Wir wollten sie zuerst auch nur in der Schweiz herausbringen, denn die Schweiz ist für mich im Prinzip nichts anderes als das Al-Kaida Trainings-Camp. Ich kann hier trainieren, ohne dass es irgendeinen Arsch interessiert und das mache ich im Moment, he he he...

MF: Wäre es mit einer neuen Platte im Gepäck nicht von Vorteil gewesen, ausgiebig zu touren oder auf Festivals zu spielen?

MP: Wenn du mir das bezahlst, gehe ich morgen..., sofort, kein Problem.

MF: Also eine Geldfrage?

MP: Absolute Geldfrage, ganz klar. Sagen wir so, wir haben ein paar grosse Sachen in Vorbereitung, die auch schon fest sind, aber ich bin so, wenn ich es nicht im Sack habe und dort bin, glaube ich nicht daran. Es ist schlichtweg so, dass es im Moment für den Rock nicht gut aussieht, aber da kann ich als Paganini oder auch ein Paul Dì'Anno nichts dafür. Das ist einfach so, unsere Superstar–Rockgemeinde hält so gut zusammen, dass wir bald alle eingehen werden und den Schaden davon wieder die Fans tragen. Aber der Fan ist selber Schuld. Ich habe mir versucht, den Arsch aufzurupfen. Wenn das alles ist, was man hier geboten kriegt, wenn man sich Mühe gibt, dann verzichte ich dankend auf die Schweiz.

MF: Du hast eine mehr oder weniger neue Band. Kannst du mir etwas über deine Musiker sagen?

MP: Das ist eigentlich keine neue Band, ich hab' sie schon seit vier Jahren. Das ist mein Gitarrist und Partner, also wir zwei sind Paganini. Das ist Dale Powers, der aus Rockaway Beach, New York stammt. Eigentlich ist er Pianist, aber er spielt jedes Instrument bis zur Vollkommenheit, er ist ein absolutes Genie. Er hat auch schon bei der Nasa gearbeitet, mit dem Ramones-Manager Danny Fields, beim Blondie-Manager und für grosse Plattenfirmen. Mit ihm habe ich das jetzt aufgebaut. Paganini ist jetzt wieder neu im Aufbau und steht auf einer soliden Grundlage, auf vier Beinen. Und jetzt sehen wir, wer so gescheit ist und entdeckt, dass er einen Goldklumpen findet. Und wenn es niemand sieht und niemand findet, dann nehme ich ihn wieder in den Sack und behalte ihn selber.

MF: Wer sind die zwei anderen in der Band?

MP: Alex ("Strübi" St. Ruby - Anm. d. Verf.) und Diego (Rapacchietti) sind genau gleich wichtig für die Band, die haben auch bei den Songs ihren Teil dazu beigetragen, als Bassist und Drummer. Geschrieben werden die Songs von Dale und mir. Das liegt schlicht weg daran, weil wir im Moment nebenbei auch noch andere Sachen machen und wir uns tausendprozentig darauf konzentrieren können. Also Musik-Sachen, nicht ein Job oder so. Diego hat gerade für Swatch ein Commercial aufgenommen, der mehr technomässig ist. Es ist einfach ein Stück Gold, das jemand erkennen muss. Wir warten auf Denjenigen. Wir haben das jetzt drei Jahre gemacht und etliche Club-Gigs gespielt. Gut, es hatte nicht so viele Leute, aber wie gesagt: Für uns war es ein gutes Training.

MF: Du hast vor zwei, drei Jahren zwei Singles veröffentlicht: "My life" und "Follow the sun"...

MP: Die habe ich mit Vic Vergeat zusammen aufgenommen. Das war, als ich bei Tyrolis angefangen habe. Wir haben übrigens schon damals mit Piero zusammengearbeitet (lacht), übrigens ein guter Rock-Sänger, der hat keine schlechte Rock Stimme..., ich muss dir doch etwas über die wichtigen Schweizer erzählen, die im Fernsehen kommen, und als Superstars gefeiert werden...

MF: Was hast du denn mit den beiden Singles, es sind ja Balladen, genau bezweckt? Hast du auf Radio-Support gehofft?

MP: Ja, es war auch so. Zum Beispiel in der Nordostschweiz war "My life" ungefähr vierzehn oder sechszehn Wochen auf den ersten drei Plätzen in den Radio-Charts und auch die Hausfrauen haben diesen Song geliebt. Ich habe das mal probiert, weil ich eine lange Pause zuvor hatte, um zu sehen wo ich überhaupt noch stehe. Ich wollte nicht so enden, wie andere Bands, die seit zehn oder zwanzig Jahren den gleichen Sound machen. Die Namen kennt ihr alle selber, die muss ich nicht extra erwähnen. Sondern ich habe versucht, mit den neuen Sachen ein bisschen aktueller zu klingen und mich der neuen Zeit etwas anzupassen.

MF: Warum ist Hens nicht mehr in der Band?

MP: Hens ist nicht aus musikalischen Gründen nicht mehr in der Band, das ist ganz wichtig, weil er ein Super-Gitarrist ist. Hens ist ganz einfach nicht mehr in der Band, weil er zu jung ist, weil er mit seinem Alter und seiner Bühnenpräsenz nicht ins Team der anderen Vier passt. Aber er ist ein superguter Gitarrist und er hat jetzt seine eigene Band. Eigentlich war das die Band, die ich zuvor nehmen wollte. Er schreibt mit denen Songs und bereitet etwas vor und jetzt sind sie ein paar Sänger und Sängerinnen am Ausprobieren. Aber der ehrliche und wirkliche Grund, warum er nicht mehr bei mir ist, ist schlichtweg wegen dem Alter. Er ist zu jung und passt optisch nicht in unsere Formation. Wir wollten auch eine Original Vierer Rock-Formation. Also Bass, Gitarre, Gesang und Schlagzeug. Wie damals auch Paul Rodgers und Free und so, oder Bad Company, nur vier Leute. Ich finde man hört so alles klarer, jedes Instrument und es gefällt mir einfach.

MF: Zwischen den beiden Singles und "Detox", das davor war, hörte man ziemlich lange nichts von dir, was hast du in der Zeit gemacht?

MP: Aufgehört mit den Drogen, die Drogen in den Griff gekriegt. Ich habe meinen Preis bezahlt. Wie sagt man so schön, je höher man kommt, desto tiefer fällt man. Sagen wir so, ich bin richtig heftig aufgeknallt, so richtig fett. Irgendwann habe ich gemerkt, das ist es nicht, das hat alles kaputt gemacht. Dann musste ich mir sagen, jetzt höre ich auf und erledige das, ich und mein Kumpel... und dann haben wir aufgehört und von da an haben wir einfach nur noch Musik gemacht.

MF: "Detox" ist in meinen Augen nach wie vor ein saustarkes Album...

MP: Ist es auch..., es ist absolut eine der unterbewertesten Schweizer Rock-Platten überhaupt und jeder Rocker weiss das auch. Wie soll ich sagen, mir kann man es echt nicht vorhalten, dass ich der Schweiz nicht noch einmal eine Chance gegeben habe. Ich bedanke mich für den Support, aber ich brauche es nicht mehr, merci.

MF: Warum hast du damals mit diesem Line-Up nicht weiter gemacht, wegen der Drogen oder hatte das andere Gründe?

MP: Ich hatte nie andere Gründe, es war immer wegen den Drogen. Ich dachte damals, ich hätte es geschafft, ich steckte in den ersten 4 ½ Jahren. Ich hatte nach 2 ½ Jahren nochmals einen Rückfall, dann habe ich ein, zwei Monate nochmals ein bisschen rumgewütet und finally habe ich es dann begriffen. Das war genau diese Zeit, wo ich mich extrem auf "Detox" hätte konzentrieren sollen, und das hatte ich da aus gesundheitlichen Gründen verpasst.

MF: Auf "Detox" befindet sich ein höchst interessanter Song, nämlich "Time", den Prince geschrieben hat. Wie kamst du zu diesem Song?

MP: Durch die Polygramm (lacht). Das war damals Paysley Park, als es Prince nicht mehr so gut ging. Eine Zeit lang standen die Paysley Park-Studios zum Verkauf. Man suchte eine Lösung für das ganze Areal. Dann war da eine schwarze Dame, die Songs aufgenommen hat. "Time" hat mir wahnsinnig gut gefallen. Dann war es so, dass man zusammen gesessen ist, in einer guten Runde und ein bisschen Spass hatte. Ich fragte, ob ich "Time" auch mal probieren könne. Dann sang ich diesen Song auch. Ja und dann kam dann auch der Master Himself und er fand, dass ich das für einen "White Boy", wie er sagte, ziemlich gut mache und bot mir an, wenn ich wolle, könne ich den Song aufnehmen. Das machte ich dann auch und ich finde ihn nach wie vor, ehrlich gesagt, eine der unschlagbaren Balladen. Der ist auch auf jedem Album drauf, mit Deep Purple, Black Sabbath, also der ist auf jenen Rock-Samplern drauf, auch auf solchen, die du im Fernsehen siehst, Time Life und so. Das ist auch so etwas, dass du als Musiker irgendwie nicht begreifen kannst. Aber wie gesagt, ich kann mich wirklich nicht beklagen. Ich war zu den besten Zeiten an den besten Orten mit den besten Leuten zusammen und dass ich das erleben durfte, das kann man nicht mit Geld aufwiegen. Zu den Drogen möchte ich noch sagen, ich würde es niemals im Leben mehr machen oder wieder anfangen. Aber trotzdem, hätte ich sie nicht genommen, hätte ich zum Beispiel meine Frau nicht kennen gelernt oder ich hätte nie im Vorprogramm von Mötley Crüe gespielt. Also es war ein zweischneidiges Schwert zu dieser Zeit. Die ersten zwei, drei Jahre geht es einen halt noch gut und dann fängt es an langsam an, an die Substanz zu gehen. Es war dann einfach zuviel. Zu schnell zu viel und dann von Chur aus in den Übungsraum mit Michael Schenker, mit den Scorpions. Für einen 16-, 17-Jährigen war das halt schon extrem. Aber wir lernen und sind immer noch alle da, frisch und fröhlich.

MF: Auf "Detox" sind unter "Special Thanks" eine Menge bekannter Namen, viele auch, die du in den Staaten kennen gelernt hast, wie ich annehme...

MP: Auch in Europa, das sind alles Musiker. Früher, als wir noch viel Erfolg hatten, haben wir natürlich auch auf vielen Festivals gespielt, in Belgien, in Holland, Aartschock, das man noch kennt. Da gehörten Accept, Victory und Viva zu den Ersten. Eloy und Chain und so, und da lernt man natürlich viele Leute kennen...

MF: Hast du zu all diesen Leuten noch irgendwelchen Kontakt?

MP: Sagen wir so, das ist wie im normalen Leben... Nächstens spielt Nikki (Nikki Sixx, Bassist von Mötley Crüe, im Moment mit Brides Of Destruction unterwegs - Anm. d. Verf.) und Alice Cooper in Pratteln im Z7. Ich habe Nikki näher kennen gelernt, als jeder andere Schweizer, ganz klar. Ich freue mich sehr auf dieses Konzert und ich hoffe, dass ich Nikki da treffe... So ist deine Frage beantwortet... Es gibt viele Musiker..., Aerosmith hat es neun Jahre nicht mehr gegeben, wegen den Drogen. Die mussten zuerst auch wieder sauber werden. Dann sind sie wieder gekommen und haben allen in den Arsch getreten. Obwohl, die ersten zwei Jahre wollte niemand mehr etwas von ihnen wissen und dann auf einmal merkten es die Leute: Doch, die können es ja immer noch! Das sind Vorbilder von mir, weil die im Prinzip den gleichen Weg wie ich durchgemacht haben. Ich will mich natürlich nicht mit denen vergleichen, das sind andere Dimensionen, aber ich meine nur im Prinzip, vom menschlichen Faktor gesehen, ist es genau die gleiche Leistung.

MF: Noch weiter zurück hast du "Weapon of love" und "It's a long way to the top" aufgenommen. Zwei ebenfalls verdammt starke Alben, mit denen du auch ziemlich grossen Erfolg hattest. Auch damals ist es dann plötzlich nicht mehr weiter gegangen. War das auch auf Drogen zurück zu führen oder hatte das andere Gründe?

MP: Nein, das waren andere Gründe, weshalb Paganini da als Band auseinander gebrochen ist. Aber ich will dir ehrlich sagen, ich möchte von diesen Leuten nicht mal die Namen in den Mund nehmen. Weil ich möchte für diese Leute keine Werbung machen. Ich habe mir da vier Jahre den Arsch aufgerissen, für drei Trottel, die ich leider zu spät durchschaut habe. Namen möchte ich keine nennen, denn das haben sie schlichtweg nicht verdient. Es zeigt ja schon, dass nachdem es die Band nicht mehr gab, ich der Einzige war, der eine dritte Platte machte. Von den anderen hat man nie mehr was gehört und so soll es auch bleiben.

MF: Wie kam damals der Churer Marco Paganini nach Hannover zu Viva?

MP: Also ganz kurz erklärt, aber es ist eine lange Geschichte... trotzdem ganz kurz. Damals war es bei uns so, in den Sommerferien, dass man nicht rumgesessen ist. Früher war man ein Töffli-Freak, als ich noch ganz jung war. Und dann ging man in den Sommerferien arbeiten, um sich ein Töffli kaufen zu können. Oder im Falle meines Bruders, einen Marshall und eine Fender-Gitarre. Doch mein Bruder hat ungefähr soviel Talent, wie ein Schwein zum Flöte spielen und das hat immerhin zwei Löcher in der Nase (lacht). Dann hätte ich auch zu einem Bauern zum Arbeiten gehen sollen, aber nach zwei, drei Tagen bin ich wieder nach Hause gegangen, weil der das Klo draussen hatte und so und ich einfach keinen Bock darauf. Ich war ein verwöhnter "Saugoof". Ich konnte mich nie anpassen, das kann ich auch heute noch nicht. Ich kann mich nicht unterordnen, ich kann mich nicht anpassen. Das heisst, ich kann mich schon anpassen, aber ich kann mich nicht von jemandem, der von nichts eine Ahnung hat, nur weil er einen höheren Rang hat, etwas sagen lassen. Das kann ich nicht und das werde ich auch nie machen. Darum haben sie mich auch im Militär nicht genommen, die wussten schon warum... Also, mein Bruder hat gearbeitet, ich kam nach ein paar Tagen nach Hause, habe die Sonne genossen und dann kam der Tag, als ich sagte: Chur ist Scheisse! Da war ich 15...

Ich wollte unbedingt rocken. Dann habe ich meinem Bruder schlichtweg das Equipment geklaut, über den Mittag. Ich ging essen und dann in mein Zimmer und bestellte ein Taxi. Ich lud das Equipment meines Bruders ein, fuhr in ein Musikgeschäft, kassierte die Kohle, für den Marshall Verstärker und die Fender Stratocaster. Ich weiss nicht mehr genau was ich dafür bekam, so 3500 bis 4000 Franken. Auf jeden Fall nahm ich das Geld, kaufte ein Flugticket und flog nach London. Ich konnte kein Wort Englisch, aber ich wusste eins, Marquee-Club. Dort gehen alle hin..., in den Marquee-Club. Da fragte ich die Leute "Marquee", das war alles, was ich sagen konnte. Hello, Marquee, wo, wo... und da sah ich dann den ersten Rockstar in meinem Leben. Rick Parfitt von Status Quo. Der lief an mir vorbei, mit Jeans-Jacke und Fender Telecaster-Koffer, früher wusste ich natürlich nicht, dass das eine Fender Telecaster ist, und mir sind beinahe die Augen rausgefallen. Da lief ich um die Ecke, wo der rausgekommen ist. Ich dachte, ja Moment, wenn der da rauskommt, dann muss da drinnen etwas Gutes sein. Da stand ich vor der Tür und habe geläutet. Da kam eine Stimme: "Hello, you may say your name!" Ich sagte einfach Marc Paganini..., da ging die Türe auf. Ich rein, Treppe rauf, ins Büro rein. Die Sekretärin versuchte mit mir zu reden. Ich konnte natürlich nichts sagen, nur irgendwie "I wanna make music", oder "I'm singing". Ich weiss es nicht mehr so genau, einfach so wie es ging, mit Händen und Füssen.

Dann sah ich einen Typ an mir vorbeigehen. Das ist jetzt extrem, was ich sage, aber es ist wahr, da kann man auch sagen "Bad Boy", wenn man will. Der Typ war Simon White. Dem hatten damals die Marquee-Studios gehört, also der Club unten, plus oben war ein Studio, darum gibt es so viele Live-Aufnahmen aus dem Marquee, weil oben das Tonstudio war. Da war auch Charisma Records, das Label von Genesis und Tommy Statons war damals der Manager von Genesis. Durch Simon White habe ich all diese Leute kennen gelernt. Nur Simon White war eine Schwuchtel, und der hat mich im Prinzip wie sein Haustier gehalten. Also ich musste kein Sex mit ihm machen oder so, aber er nahm mich überall hin mit, an irgendwelche Banketts und Essen. Led Zeppelin, The Who, ich hab all diese Leute getroffen und kennen gelernt. Nur weil ich im Prinzip ein Vorzeigemodell für eine alte Londoner Schwuchtel war. Der hat mir auch neue Lederklamotten gekauft. Er hatte einen Freund, auch ein Schwuler..., Murry hiess der, ein Filmschauspieler, der hat auch mit ihm zusammengelebt. Nicht in einem Schloss, aber in so einer grossen Londoner Villa. Ich wohnte in einem anderen Teil des Hauses. Dann las ich jeweils die Inserate der Musiker durch. Tygers of Pan Tang hatten damals einen Sänger gesucht, weil Jess Cox ausstieg. Dann konnte ich dort vorsingen. Das war in New Castle. Ich war dann todunglücklich. Die haben mich zwar voll genommen, mit zwei anderen. Ich musste drei Songs lernen. Die haben in einer alten Kirche geübt. Ich weiss noch, da stand ein kleiner Junge am Eingang, der sagte zu mir: "Do you wanna see something?" Da nahm der sein Auge raus und zeigte es mir, auf seiner Hand. Ich dachte "Scheisse!" - wo bin ich da gelandet (lacht). Ich also in die Kirche rein, und du glaubst es nicht, da waren ungefähr 200 Sänger, die alle gleich aussahen (lacht). Wahrscheinlich wegen dem Vitamin-B hatte ich dann Vortritt. Dann spielten sie ein Konzert im Hammersmith Odeon, als Support der Scorpions. Da konnte ich quasi als neuer Sänger am Schluss die letzten vier, fünf Songs singen. Barbara Schenker war auch dort und die hörte mich und hat zu Rudolf (Rudolf Schenker, Gitarrist von Scorpions und Bruder von Barbara - Anm. d. Verf.) gesagt, den will ich für Viva haben. Dann kam Rudolf zu mir und sagte: "Hey..., willst du nicht lieber nach Hannover, was willst du denn hier? Dann ging ich nach Hannover, die haben auch alles bezahlt. Ich verliebte mich in Barbara und wir haben dann zwei, drei Jahre zusammen gewohnt. Dann hoben wir Viva aus der Taufe..., der Rest ist Geschichte. Mit Barbara habe ich heute noch Kontakt. Sie will jetzt Viva wieder ins Leben rufen, aber das wird wahrscheinlich auch an der Kohle scheitern (lacht).

MF: Hättest du denn Interesse daran?

MP: Ja, wir haben Aufnahmen gemacht. Wir waren vor vier, fünf Monaten in Hannover. Der Gitarrist war dort, Barbara, ich und Hens wären geplant gewesen und Diego mein Schlagzeuger. Das hätte eine Viva-Reunion geben sollen, quasi mit Frontline, Andreas (Andreas Kawaldt, Bass - Anm. d. Verf.), Barbara und ich wären vorn gewesen, die Originalmembers. So wie die Scorpions im Prinzip. Aber dann wurden Versprechen gemacht und nicht gehalten, und sobald ich merke, dass jemand lügt, ist bei mir der Ofen sofort aus. Aber wir haben fünf Songs aufgenommen, die ich auch noch habe. Das hätte auch jemand genommen, um es herauszubringen. Aber die Stimmung war nicht so, dass ich meine Band verlassen hätte.

Das sind zwar alles Sachen, die ich als Mensch selber erlebt habe, aber eigentlich geht es ja nur um eins: Musik machen und Spass dabei haben. Ich finde langsam, es ist wie bei den Nazis früher: Es ist schon ein richtiges Musik-Diktat, wie man beim Grand Prix-Eurovision auch gesehen hat. Alle Superstars dieser Länder sind da. Das ist so beschränkt und das Verrückte ist, dass man all diese Leute dafür gewinnen kann. Deswegen wundert es mich auch nicht, dass die Amerikaner in den Irak einmarschieren und einfach Leute umbringen können. Die sind schon so abgestumpft, die sehen das alles gar nicht mehr. Es gibt nichts Älteres als eine Zeitung von gestern. Irgendwann wird sich das rächen, das ist dann "Esoterroism". Du kannst dann sagen Paganini war's, die Welt ist untergegangen, weil er eine Stunde vor einer schwarzen Kerze gesessen ist (lacht).

MF: Wie geht es nun weiter, was hast du für Pläne? Marco Paganini mit unserem Chris

MP: So wie es aussieht, das Boldor in Paris im Sommer. Für Festivals hat es dieses Jahr nicht gereicht, niemand wollte mich. Die Leute werden schon wissen warum..., nein..., keine Ahnung! Ich weiss es nicht. Es ist wie ein Scheiss-Fluch, wie wenn du geächtet wirst. Aber wie gesag: "Hey fuck it..."

Wir haben jetzt auch eine neue Platte fertig, also wir müssen noch den Gesang aufnehmen. Das sieht auch gut aus, weil das erstmals von der "Kultura" Graubünden gesponsert wird. Das habe ich auch verdient, nach so vielen Jahren (lacht). Ja, im Moment sind wir daran am Arbeiten und die (CD) kommt im Herbst raus. Wenn es geht, das heisst, wenn wir genug Material zusammenbringen, gibt es vielleicht noch eine DVD, vielleicht. Und sonst machen wir weiter wie bisher, volle Granate.

Was soll ich sagen: "It's only Rock'n'Roll, but I like it! www.paganini.ch