Interview: Porcupine Tree
By El Muerte
Beim Erklingen des Namens Steven Wilson beginnen die Augen der Prog-Fans quer durch sämtliche Generationen zu funkeln. Das britische Ausnahmetalent ist nicht nur seit knapp 20 Jahren mit seiner Hauptband Porcupine Tree am Start, sondern veröffentlicht unter Namen wie «Blackfield» und «No Man's Land» seit geraumer Zeit Kollaborationen mit anderen Künstlern, produziert Platten (Unter anderem drei Mal für Opeth), und macht mit waghalsigen Schlagzeilen auf sich aufmerksam - Zuletzt mit der Ankündigung seines neuesten Projekts, bei dem unter anderem Mikael Akerfeldt (Opeth) und Mike Portnoy (Dream Theater) mitwirken sollen. Entgegen aller Erwartungen erwartete mich im Backstage-Bereich des Zürcher Volkshaus aber nicht ein gestresster und überarbeiteter Star, sondern ein ausgeruhter und fokussierter Gentlemen, der sich zu aller erst mal nach meinen Wohlbefinden erkundet, und sich dann für den von Anathema's Soundcheck verursachten Lärm entschuldigt (Wobei die Jungs mit AC/DC und Radiohead durchaus Hintergrund-Taugliches Material jammen…). Im Laufe des Gesprächs wird dann schnell klar, dass aufgrund der Antwort-Fülle von Steven Wilson mein Fragekatalog zu üppig ausgefallen ist, aber das tut der Qualität des Interviews sicher keinen Abbruch…

MF: Könntest du für mich die Geschichte von Porcupine Tree in einige Zeilen zusammenfassen?

SW: Haha, einigen Zeilen (Lacht ungläubig)? Bloody Hell! Aehm… Nein, nicht wirklich. Aehm… Porcupine Tree ist irgendwie… das Ganze… Ich denke die ganze Idee hinter Porcupine Tree ist es, innerhalb des Kontextes eines Albums eine musikalische Reise zu erschaffen, wir bevorzugen komplette Alben den einzelnen Stücken, wir denken in konzeptionellen Wegen - Und wirklich, das ist eigentlich die ganze Geschichte der Band, das war das Konzept von Anfang an, es ging durch viele Stilrichtungen… Es begann psychedelisch, dann wurde es eher Space Rock-orientiert, dann progressiver, und, letzthin ist es etwas metallischer geworden. Das ist so in der Art eine Zusammefassung, denke ich.

MF: Wenn man eure Musik anhört, scheint es eine fast unlösbare Aufgabe zu sein, eure Einflüsse herauszuhören - Welches sind denn eure primären Inspriationsquellen?

SW: Um ehrlich zu sein, waren es letzthin vor allem cineastische Einflüsse, und Bücher. Ich meine, als ich ein Kind war… Ich bin in den Achzigern aufgewachsen, was eine ziemlich schlechte Zeit für Musik war, ziemlich schlecht. Die Musik, die in den Achzigern entstanden ist, war - mit einigen Ausnahmen - ziemlich hohl. Also bin ich immer wieder zu der Plattensammlung meines Vaters zurückgekehrt. Und der hatte eben Sachen aus den Siebzigern, progressive Sachen halt, und so bin ich dann mit allem Möglichen von den Beatles zu den Beach Boys, zu Frank Zappa, zu King Crimson, Tangerine Dream, Crosby, Stills & Nash und Young aufgewachsen, alles was… Und ich habe mich wirklich in den damaligen Sound der Platten verliebt, dieser warme, sehr schöne, irgendwie goldige Sound. Das war, bevor der Synthesizer kam, vor Drum-Maschinen. Alles hatte eine sehr organische Qualität. Und den Leuten schien auch etwas an der Entstehung der Platten zu liegen. Das war vor MTV, vor der Evolution zum Drei-Minuten-Pop-Song. Ich finde, dass sich der Horizont der Musik damals wirklich erweitert hat, von den späten Sechzigern an. Nachdem die Beatles «Sgt. Pepper», und die Beach Boys «Pet Sounds» herausgebracht hatten, gab es eine richtige Explosion von kreativer Inspiration… von Bands, die das Album als Kunstform ansahen. Und genau das ist die Sorte Musiker, die mich beeinflusst hat. Also nicht die Musiker selber, aber Leute, die ein Konzept hatten - Sie hatten etwas wie eine Vision, irgendwie wie ein Ausgleich zum Leben. Weisst du, etwa wie Stanley Kubrick oder David Lynch in der Film-Welt, Musiker wie… Leute wie Frank Zappa. Man denkt nicht wirklich über Frank Zappa als Gitarristen, sondern als jemanden, der diese Welten kreierte… und genau diese Leute waren wirklich einflussreich.

MF: Wie funktioniert denn das Songwriting bei euch?

SW: Wie meinst du das? Wer was macht? Oder wie es gemacht wird?

MF: Eigentlich beides…

SW: Nun, ich denke ich schreibe eigentlich immer noch das Meiste selber. Ich denke es ist wichtig… Ich habe immer gedacht… Um nochmal auf das zurückzukommen, was ich vorhin gesagt habe - Die Person, die eine Vision hat - Ich denke, es ist wichtig, dass jemand die… Kontrolle… über die Richtung/Vision der Band behält. Das war ja irgendwie mein Konzept, Porcupine Tree begann als Solo-Projekt, vor vielen, vielen Jahren. Also ja, ich schreibe den Grossteil der Musik und die Textlichen Ideen - Und ich kann in allen möglichen Arten schreiben, ich kann auf einer Gitarre beginnen, auf einem Piano, mit einem Drum-Rythmus, mit einer Basslinie, mit einem Sample, aehm… mit einer Text-Idee, mit einem Titel… wirklich allem - Es gibt keine definierte Form, in die Musik hineingeboren wird. Aber wir haben letzthin auch… Während der letzten Alben hatten wir auch Band-Sessions, Band-Schreib-Sessions, welche sehr erfolgreich waren; Wir haben ein paar starke Sachen gemacht, aber die tendieren eher… Ich denke, wenn du als Band schreibst, kommt es etwas weniger Songdienlicher raus. Ich denke Songwriting… wenn du versuchst, einen starken Song zu schreiben, dass ist eher eine abgeschirmte Sache für mich. Die Sachen, die wir zusammen schreiben, tendieren in eine komplexere Richtung, sie entwickeln sich eher zu unterschiedlichen instrumentalen… Sie sind nicht zwingend die besten Songs, du könntest dich nicht mal eben mit einer Gitarre hinsetzen und sie singen. Aber sie können Arrangement-mässig interessanter sein. Also versuchen wir alles davon, wirklich.

MF: Also setzt du dich danach hin, und arrangierst diese Teile?

SW: Ja.

MF: Und daraus entstehen dann die Songs?

SW: Ja, ja. was passiert, ist, die Band nimmt eine Anzahl an Riffs, oder Strukturen, oder Akkord-Wechsel, oder Flächen auf, und ich nehme das dann mit, und konstruiere und arrangiere etwas daraus, wozu ich dann Texte schreiben kann. Ja, das ist eigentlich, was während den letzten Alben funktioniert hat.

MF: «Fear of A Blank Planet» hat sehr lange Songs, wahrscheinlich die längsten Überhaupt von Porcupine Tree - War das Absicht?

SW: Nein, bei dieser Band ist nie Absicht dahinter. Es ist… Es ist… Alles war wir getan habe, war sehr organisch, und sehr… sehr… eigentlich ging's immer darum, uns zu gefallen. Ich denke, diesmal gab's so etwas wie - wenigstens aus meiner Sichtweise - den Wunsch, etwas zu kreieren, das als ein kontinuierliches, komplexes Stück Musik funktioniert - Ein einziges 50 Minütiges Stück Musik. Das wurde mehr oder weniger auch durch die thematische Ausrichtung diktiert, ich hatte dieses starke Konzept über Technologie, und wie es vor allem die Jugendlichen im 21. Jahrhundert beeinflusst… iPods, Handys, das Internet, Playstations, MTV, Drogen auf Rezept… Es gab all diese Sachen, über die ich schreiben wollte, und ich fühlte, dass das alles irgendwie zu etwas Zentralem hinführt. Und das wiederum suggerierte ein sehr… Aehm… solides Stück Musik. Ich meine, wenn ich mich hinsetze und Musik schreibe, denke ich nicht «Das wird jetzt 18 Minuten lang», ich denke nicht «Das wird 4 Minuten lang», es passiert irgendwie eigenständig. Es gibt ein Stück Musik auf der Platte, das genau 18 Minuten lang ist, und das hat auch wie jeder andere Song begonnen. Es wurde einfach immer grösser, und plötzlich wurde es zu diesem Monster. Ich glaube, als ich das Demo fertig hatte, war mir überhaupt nicht bewusst, wie lang es wirklich war. Es war wie ein Schock für mich, ich starrte den Zählen auf dem Bildschirm an, und ich hatte keine Ahnung. Und, nun ja… erneut, es nichts, wofür ein Plan existiert hätte, ich kann's nicht erklären. ich kann's nicht erklären. Es ist einfach in einer sehr natürlichen Art und Weise entstanden.

MF: Wenn du Songs schreibst, arbeitest du zugleich sämtliche Arrangements & Overdubs aus, oder lässt du da auch mal bewusst etwas Raum?

SW: Ich versuche es… nun ja, ich mache es. Und der Grund dafür ist, der Porcupine Tree-Sound ist nicht so einfach, wie einen Song zu schreiben. Der Weg der Entwicklung eines Songs ist oft… kann… Etwas passiert in der Rhytmik, und das führt das Stück zum nächsten Teil, oder etwas poassiert in der Bass-Linie und führt dann weiter, oder in einer Keyboard-Fläche, oder sonst wo. Also alle diese musikalischen Elemente interreagieren miteinander, und bringen den Song irgendwie zusammen vorwärts. Also ist es für mich sehr wichtig, beim Songwriting nicht nur die Grundidee und den Gesang und den Text festzuhalten, sondern auch, wie die Instrumente zueinander stehen. Das heisst nicht, dass die anderen Jungs ihre Parts dann nicht verwerfen und etwas viel besseres draus machen, weisst du. Und das machen sie auch, regelmässig. Aber wenn ich Demos mache, und einige meiner Demo-Aufnahmen haben in der Vergangenheit schon den direkten Weg auf die Platte gefunden, dann hört man darauf schon viele Details, ich tendiere dazu, alles mit drauf zu packen - Nur damit ich es wirklich hören kann, und sagen kann «Ja, das funktioniert». Und das habe ich immer schon so gemacht. Und der Rest der Band hasst mich dafür, aber was soll's (Lacht).

MF: Wenn du die Songs mit den anderen Musikern erarbeitest, benützt du eher eine emotionale, oder eine technische Sprache?

SW: Ich denke, wir brauchen beides - ich meine, als Musiker geht es darum - Oder wenigstens bei der Art Musik, die wir machen - über einen schmalen Grat zu wandern, die Balance zwischen emotionaler Intensität und technischer Exzellenz zu halten, und mir ist es sehr wichtig - was man hoffentlich auch raushört - dass Porcupine Tree-Platten der obersten Spitze der Produktions-Standarts entsprechen. Weisst du, sie klingen klanglich wirklich so gut, wie alle anderen Sachen. Aber es ist sehr einfach, dass, sobald du in einer Art Fokussierung hörst, wie etwa ein EQ auf der Hi-Hat, oder das Timing in einer Sequenz… Es ist also sehr einfach die Perspektive über das Grundsätzlichste zu verlieren, was natürlich die Emotionale Intensität ist, die du verspürst, wenn du den Song zum ersten Mal vervollständigt hast. Und was ich gelernt habe, ist, dass es der beste Kompromiss ist - wenn das Wort überhaupt zutrifft - … wenn ich ich die Songs Demo-mässig aufnehme, recorde ich auch Gesang zur Orientierung. Und ich habe aus der Erfahrung gelernt, dass dieser Gesang später nur sehr schwer zu verbessern ist - nicht in technischer Qualität, aber in emotionaler. Und deswegen hörst du bei 95% der Porcupine Tree-Songs auch die originale Demo-Spur des Gesangs - Die Spur, die ich an dem Tag aufgenommen habe, an dem ich den Song geschrieben habe. Und ich weiss aus Erfahrung, dass du nie… Und wenn du darüber nachdenkst, macht das auch wirklich Sinn - Weil, wenn du gerade einen Song geschrieben hast, bist du einfach unglaublich nahe dran, was das Gefühl angeht, worüber du gesungen singst. Sechs Monate später, wenn du den Song 10'000 Mal gehört hast, wenn du auf die Drums, die Hi-Hats, die Basslinien gehört hast, dann ist es einfach unmöglich, dass du den Song mit so viel Einsatz singen kannst, wie wenn du ihn gerade geschrieben hast. Es ist logisch. Es ist überraschend, wie wenig Leute das überhaupt realisieren, und Monate damit verbringen, etwas wiederherzustellen. Also habe ich mir vor einigen Jahren das bestmögliche Mikrophon gekauft, das erhältlich war - weil ich wusste, dass ich die Demo-Vocals behalten würde. Und so hat es sich dann auch herausgestellt.

MF: Du verwendest of Pop-mässig arrangierte Gesänge & Harmonien…

SW: Richtig.

MF: …wie kam es dazu, stammt das ebenso von den Beach Boys- und Beatles-Platten?

SW: «Pet Sounds», Crosby, Stills, Nash & Young, Todd Rungren, jeder der mit unglaublichen Gesangs-Arrangements gearbeitet hat. Es gab… in den späten Sechzigern und den frühen Siebzigern gab's unglaubliche Leute, Brian Wilson ganz zuoberst, und das habe ich immer geliebt. Ich besass nie… Ich habe immernoch keine besonders starke Stimme, weisst du. Ich bin nicht… Ich bin nicht Jeff Buckley, ok? Ich weiss, dass meine Stimme ein gewisses Timbre hat, was sehr nett ist, aber ich werde nie eine unglaubliche Gesangs-Technik haben. Also - ich glaube seit dem Anfang - schaute ich mich nach Möglichkeiten um, um meine Stimme interessanter zu gestalten, sie stärker zu machen… Und so habe ich mit Doppeln gearbeitet, Hamonisieren, Effekten… Wenn du Porcupine Tree-Platten hörst, wirst du viel an Gesangs-Bearbeitung und -Basteleien hören. Und als später Bands anfragten, ob ich sie produzieren möchte, dann war das, weil sie genau solche Sounds wollten. Ich erinnere mich genau, als ich das erste Mal mit Opeth arbeitete: Mikael meinte «Gib uns die Telefon-Stimme!», weil das ein Effekt war, den ich auf den frühen Alben oft benutzte, es sollte so klingen, als ob meine Stimme aus einem… Aber das passierte vor allem, weil ich unsicher wegen meiner Stimme war. Ich mochte sie nicht wirklich, weisst du - ich dachte immer, sie wäre etwas schwach. Also fand ich Wege, um sie farbiger klingen zu lassen, um sie interessanter klingen zu lassen. Und ich denke diese ganzen Harmonie-Sachen waren Teil dieses Prozesses… «Wie kann ich meinen Gesang für mich
interessanter gestalten?». Und das war meiner Ansicht nach eine der besten Lösungen.

MF: Wie schwer ist es für dich, die Rolle zu wechseln um eine Platte zu mischen, und die Musik von aussen zu betrachten?

SW: Oh, ich wechsle gar nicht zur aussenstehenden Position. Ich meine, das letzte was du als Nahestehender machen kannst, ist, die Sache neutral anzugehen. Aber das tolle heutzutage ist, du kannst mit den Computern den ganzen Weg entlang mischen. Ich denke, die Zeit, in der Bands drei Monate aufgenommen haben - und dabei keinen Plan hatten, wie es nach dem Mix klingen würde - und danach mit dem Mischen in einem anderen Studio eine neue Phase began… ich denke, diese Zeit ist vorbei. Weil heutzutage, wenn wir mit Computern aufnehmen, bauen wir das Bild Schritt für Schritt auf, und ich mische die ganze Zeit, während den Aufnahmen. Wirklich, das Mischen, das existiert nicht. Ich meine, wenn wir am letzten Overdub sind, Gesang, finaler Gesang, finale Keyboard-Parts, was auch immer, der Mix ist irgendwie schon da… siehst du, was ich meine?

MF: Ja.

SW: Weil wir die Möglichkeit haben, Effekte zu kreieren, Lautstärken-Informationen zu kreieren, Sachen zu schreiben, und diese Informationen darin abzuspeichern. Und es wieder aufzurufen, oder es abzuspeichern, und abzurufen. Jeden Tag gehen wir zurück in's Studio, wir holen den Mix zurück. Also entwickelt sich der Mix Teil für Teil, als Teil des Aufnahmeprozesses. Ich meine, ich kann das nicht objektiv betrachten, ich denke nicht, dass ich das sollte. Ich denke, wenn man eine klare Vision eines Sounds hat, dann sollte man sich dafür einsetzen, «So will ich das!». Deswegen wäre es für mich auch sehr hart, meine Arbeit für den Mix jemandem anderem zu geben, weil ich nicht objektiv sein will, ich will es nicht mit frischen Paar Ohren hören, ich weiss, wie es zu klingen hat. Ich bin ziemlich arrogant, ich weiss, wie meine Tracks klingen sollen, es kümmert mich keinen Dreck, was du darüber denkst, so soll es meiner Meinung nach klingen. Also bin ich halt ein Kontroll-Freak.

MF: Masterst du deine Platten auch selber?

SW: Ich mache es jetzt.

MF: Oh, ok.

SW: Ich habe mit dem Mastern begonnen… Das letzte Album habe ich selber gemastert, wieder, weil ich einfach soweit war, dass ich niemanden anderes haben wollte, der… der… mit dem Porcupine Tree-Sound spielt. Ich weiss, wie es klingen soll. Also habe ich mir in etwa das Mastern beigebracht, jetzt klappt's. Ich bin so ein Kontroll-Freak, es ist einschüchternd… Haha (Lächelt)! Aber ich denke die Qualität des Werks rechtfertigt diese Art der Kontrolle, ich denke die Platten klingen besser als je zuvor, und ich denke das liegt grösstenteils daran, dass die Band viel mehr Kontrolle an sich gerissen hat, Gavin (Harrison, Drums) macht die Aufnahmen selber, wir haben niemand anders im Stuio, weisst du… Und ich mische und mastere alles.

MF: Lass uns das Thema wechseln: Der Mittelteil des Songs «Sentimental» verwendet das gleiche Akkord- & Rythmus-Thema wie der Song «Trains» von «Deadwing» - Was steckt dahinter?

SW: Wenn du den Text liest, der direkt nach diesem Riff in «Trains» kommt, wirst du sehen, dass die nächste Linie «Down At The Traintracks I Dream Of Escape» lautet, was auch die erste Zeile vom nächsten Song ist. Also dachte ich «Ok, es wäre nett, wenn das Ende von "Sentimental" eine kleine Referenz zu "Trains" hätte». Erneut, dieser konzeptuelle Zusammenhalt innerhalb des Albums ist ebenso ein konzeptioneller Link zurück zu älteren Arbeiten, es hat eine kleine Referenz zu «Trains», und dann tauchen auch wieder die Texte über Züge auf. Und mir gefällt das. Ich meine, ich mag die Idee, dass Porcupine Tree's Musik etwas kontinuierliches ist, weisst du. Es ist mit allem verbunden.

MF: Wenn wir schon gerade über Züge reden - Ich habe deinen Bezug dazu nie ganz verstanden, der Begriff und der dazugehörige Klang tauchen überall in deiner Musik auf… würdest du mir das erklären?

SW: Aehm, das ist ziemlich einfach, wirklich. Ich denke, dass vieles… wahrscheinlich geht's nicht nur mir so, aber sicher als Musiker und Künstler – und ich denke, es gibt eine Menge Musiker und Künstler, die genau so sind - vieles was wir schreiben… keine Ahnung, du bist auch ein Musiker, oder?

MF: Ja, das bin ich.

SW: Ich weiss nicht, ob du das genau so siehst, aber wenn du schreibst, dann ergibt es sich so, dass vieles davon irgendwie in deiner Kindheit verankert ist, oder in deiner Vergangenheit, es nimmt bestimmte Dinge als Referenz, die sich für dich Nostalgisch anfühlen, und ich… Dort wo ich aufgewachsen bin, gab's in der Nähe einen Bahnhof. Und es ist interessant, dass ich, obwohl ich mir nie darüber bewusst war, wann immer ich das Geräusch eines einfahrenden Zuges höre - wie ich es hunderte, tausende und millionen von Male gehört habe, als ich ein Kind war, und nachts im Bett lag, und das Rauschen des einfahrenden Zuges hörte… damals war mir nicht bewusst, welchen psychologischen Effekt das auf mich haben würde. Wann immer ich diesen Klang höre, löst es eine ganze, beinahe Preustsche', Kette an Erinnerungen und Gefühlen und Gerüchen aus, und ich erinnere… verstehst du, was ich meine? Ich erinnere mich nicht nur daran, wie ich damals die Züge hörte, sondern auch an den Geruch aus der Küche meine Mutter, die Musik die ich… Die Tv-Shows, die ich mir als Kind angeguckt habe, die Musik, die ich als Kind gehört habe, die Freunde die ich in der Schule hatte, und es löst diese ganze Kette an Erinnerungen aus. Und es passiert oft. Es gibt sowas wie Auslöser, und manchmal kann das wirklich kompliziert sein, und du erklärst es anderen Leuten, und sie verstehen das nicht. Wie der Geruch einer Blume, der Geruch aus der Küche deiner Mutter, oder der Geruch der Überkleider deines Vaters, oder… und…oder der Name deines Hundes, oder sonstwas. Und es kann eine ganze Serie von Dingen auslösen, die deine ganze Erfahrung zusammenfassen, nostalgisch gesehen. Und Züge haben genau diese Effekt auf mich. Ich habe nie bemerkt, wie oft ich davon gesprochen habe, bis mich Leute darauf aufmerksam gemacht haben… «Ja, es stimmt - Ich erwähne Züge ziemlich oft!». Und dann habe ich gemerkt, dass es daran liegt, dass die Geräusche, die ich als 10-jähriger im Bett liegend aufgenommen habe, einen tiefen Eindruck in meiner Psyche hinterlassen haben. Und sie halten den Schlüssel, wenn du so willst, zu meinen Erinnerungen an meine Kindheit - was bizarr ist. Aber ich denke, das geht allen gleich, es gibt wahrscheinlich Auslöser in jedem von uns… sie bringen diese Erinnerungen irgendwie hervor.

MF: Benutzt du dies, seit du darauf aufmerksam gemacht worden bist, bewusst?

SW: Nein, es passiert mehr oder weniger einfach so. Ich meine, ich denke nicht über diese Dinge nach, wenn ich schreibe… Wenn du schreibst, versuchst du ein Gefühl, eine Emotion, eine Idee auszudrücken… Ich versuche, mich nicht zu wiederholen, ich bin immer… Etwas das für mich immer wichtig war, ist, mit Porcupine Tree nie die selbe Platte zweimal zu machen. Wir versuchen immer, jede Platte etwas anders zu gestalten, als die vorherigen. Keine Ahnung, ein Stil, eine Idee, eine Fläche, was auch immer. Mich kümmert das sehr, ich will mich nicht wiederholen, aber manchmal musst du einfach akzeptieren, dass jeder Musiker oder Writer bestimmte Themen hat, Ideen, Musikalische Gags, auf die er immer wieder zurück kommt. Aber das ist gut so, weil das eben der Stil ist, das ist dein Stil. Und wenn du dies nicht hättest, diese kleinen Details auf die du manchmal zurückfällst, dann hättest du keinen eigenen Stil. Scheinbar haben meine Texte etwas, das die Leute dazu veranlässt zu sagen «Oh, das muss Steven Wilson sein!», ich denke dass das Teil des Prozesses ist. Ich versuche eben, nicht zu stark darüber nachzudenken, weisst du. Solange es mich interessiert, solange es mir frisch erscheint, solange, denke ich, wird es den Leuten frisch erscheinen.

MF: Auf «Fear Of A Blank Planet» zeichnest du ein ziemlich verstörendes Bild unserer Gesellschaft - Ist das dein aktueller Blickwinkel, oder eher so etwas wie eine Voraussicht?

SW: Es ist keine Voraussicht, weil ich denke, dass das jetzt genau so ausschaut, das ist genau, was jetzt passiert. Und es… es ist… Ok: Als Künstler, als Songschreiber und Künster, also nicht nur als Songschreiber, auch als Maler, Schriftsteller, Filmemacher, oder alles mögliche, ist das besten, was du tun kannst, in einer Art und Weise dem Rest der Welt den Spiegel hinzuhalten, und zu sagen «Das ist, was ich sehe - Erkennst du dich darin?», oder «Erkennst du die Welt, in der du lebst?». Klar ist das meine Ansicht, jeder hat halt eine andere, aber das ist nun mal was ich sehe. Das sehe ich, wenn ich MTV kucke, das sehe ich, wenn ich mich im Internet umsehe, da siehst du die Schul-Schiessereien, die Abhängigkeit von Handys, und iPods, und Playstations, und Internet und die Download-Kultur. Und offensichtlich bin ich als Musiker auch davon betroffen - das ist nur ein Aspekt des Internets, aber genau der berührt mich. Also versuche ich halt zu sgaen «Das ist die Welt, so wie ich sie sehe», und ich muss dazu anfügen, dass ich die Art und Weise, wie das Bono oder Bruce Springsteen tun, gar nicht mag, wo man den Fans sagt «So solltest du denken, so solltest du leben, für die solltest du stimmen, das solltest du dir ankucken, was solltest du dir anhören». Ich mag das nicht, ich denke es ist Bullshit - Die einzige Aufgabe, die ein Künstler hat, ist, den Spiegel aufzuheben, und das Publikum selbst denken lassen. Also halte ich den Spiegel hoch, und sage «Das ist die Welt, so wie ich sie sehe - was denkst du davon, bist du einverstanden?». Die meisten Leute meinen, dass in meinen Texten etwas Wahrheit steckt. Ich versuche garantiert nicht zu predigen, ich versuche schon gar nicht zu sagen, dass meine Ansicht das Non-Plus-Ultra ist, möglicherweise stecken da eine Menge Fehler drin, oder falsche Auffassungen in dem, was ich erzähle. Aber am Ende des Tages ist das ebenso Teil davon, ein Künstler zu sein - Du machst Fehler, du scheiterst, und du liegst falsch. Aber grob gesehen, ist was ich in «Fear Of A Blank Planet» sehe schon in etwa Tatsache, weisst du? (Seufzt). Es ist eine verdammt harte Zeit, eine junge Person zu sein, aus einer intellektuellen Perspektive. Motiviert zu sein, ambitioniert zu sein, dieser Welt etwas abzugewinnen - es ist schwierig, denke ich. Sogar in den zwanzig Jahren, seit ich ein Teenager war, haben sich die Dinge so stark und so schnell verändert, und ich wundere mich, ob das Internet und all diese Spielereien, die mich umgeben, nicht diesen Sinn für Paranoia und Langweile verstärken, diese finale Langweile. Roger Waters hat vor 15 Jahren eine Platte mit dem Namen «Amused To Death» gemacht, und es geht eben darum, dass sich die Menschheit an den Rand der Zerstörung vergnügt hat, verstehst du? Wenn du alles hast, Pornografie, alle Musik, Filme, die du willst… auf Knopfdruck, wenn du alles auf Knopfdruck hast, was bleibt dann noch? Und ich fühle genau so über junge Musiker, weil - musikalisch gesehen - alles schon gemacht wurde. Alles wurde schon gemacht! Von der minimalsten Musik bis hin zum extremsten Lärm, und allem dazwischen, ich fühle da so etwas wie Sympathie für die Musiker von heute, die versuchen, eigenständig zu klingen - es ist wirklich schwer. Und in einer Art und Weise spiegelt das auch das Leben wieder. Heutzutage ist es hart, etwas als junge Person zu hinterlassen, motiviert zu sein, sich über die Möglichkeiten dieser Welt zu freuen. Also ist «Fear Of A Blank Planet» für mich sowas wie… Meine Angst, dass diese Generation von Kindern ziemlich flach und ruhig rauskommen wird… du weisst schon, was kann man tun?

MF: Yup…

SW: …Und ich hoffe, dass du mir das Gegenteil beweisen wirst! (Lacht)

MF: Also ja… hm…

SW: Aber ich befürchte, dass die meisten den Beweis für mich antreten werden, aber so schaut's aus. Aber du weisst, es braucht nur ein oder zwei Leute um die Welt zu verändern.

MF: Darauf hoffe ich immer noch.

SW: Darauf hoffe ich auch immer noch! Eigentlich bin ich eine zimelich optimistische Person, wirklich. Aber ich denke, dass ich eben viel meiner negativen Energie in meine Songs stecke, einfach weil ich das immer so gemacht habe. Es ist irgendwie… es ist wie… Schreiben ist wie ein Exorzismus der negativen Energie. So kann ich wieder eine fröhliche Person sein. Die Leute sind überrascht, wenn sie mich treffen, weil ich nicht so bin, wie sie sich mich vorstellen. Sie denken, ich sie diese unglaublich depressive, negative Person, aber das bin ich nicht! Und der Grund dafür ist, dass ich diese Seite einfach in meiner Arbeit rauslassen kann, das ist die eine Hälfte von mir. Und ich bin die andere Hälfte, die positive.

MF: Mikael (Akerfeldt/Opeth) hat mir vor etwa zwei Jahren das Selbe gesagt, bis dahin habe ich das gar nie so betrachtet - Aber es macht schon Sinn.

SW: Nun, Mikael ist das beste Beispiel von jemandem… Du wirst niemals jemanden treffen, der ruhiger, freundlicher, charmanter, witziger und netter ist, als Mikael Akerfeldt. Und trotzdem, wie du sagst, sind seine Texte extrem nihilistisch, schwarz, dunkel… Ich denke, das stimmt so… Lustigerweise habe ich was bemerkt: Ich habe viele Leute aus der extremen Metal-Welt getroffen. Du weisst schon, diese riesigen Typen mit Tattoos, und… Die sind wie Schosskatzen! Und dann triffst du einige Protagonisten aus der HipHop-Welt, und sie sind komplette Arschlöcher. Ich verallgemeinere jetzt, ich bin mir sicher, dass es auch im HipHop nette Jungs gibt, und es gibt auch genug Arschlöcher in der Metal-Welt - Aber generell gesehen sind's die Metal-Typen, die Typen die über die dunkelsten, bösesten Sachen singen, und die sind ganz lieb… wirklich zahm. Ich bin mir sicher, dass das der Grund dafür ist, sie benutzen ihre Musik als kathartische… Übung, um das loszuwerden… Ich meine, wir haben alle positive und negative Seiten, alle. Aber einige von uns können das teilweise loswerden. Einige machen Sport, oder was auch immer sie halt tun. Aber Musiker und Künstler, Maler, Schriftsteller, Filmmacher haben diese Möglichkeit, wenn du so willst, das in ihr Werk zu leiten, was eine Gabe ist. Eine der vielen für Musiker.

MF: Ok, danke. Lass uns noch kurz auf deine Zukunft zu sprechen kommen, was hast du noch so vor in der nächsten Zeit?

SW: Nun, wir waren mehr oder weniger das ganze Jahr auf Tour, um die Platte zu promoten. Das ist die letzte… zwei, drei… es bleiben noch vier Wochen, die letzten vier Tour-Wochen, bis hin zu Weihnachten, dann nehmen wir uns wahrscheinlich einige Monate Auszeit, währenddessen ich eine Solo-Platte machen werde. Ich habe da all diese Songs, die ich mir zur Seite gelegt habe, weil die nicht wirklich irgendwo reingepasst haben… Ich hoffe, die neue Anathema-Platte produzieren zu können, die sind bereit dafür. Dann werde ich wieder etwas als Produzent arbeiten, und im Frühling wurden wir nach Australien und Japan eingeladen, also gehen wir auf… auf die andere Seite der Welt, spielen da einige Shows, und danach beginnen wir dann hoffentlich mit der Arbeit an einigen Ideen für eine neue Platte, wenn uns danach ist.

MF: Wunderbar, da freu' ich mich drauf - Besten Dank!

SW: Ich danke dir!




Steve Wilson und unser El Muerte (r) >>>>