Interview: Soilwork
By Michel A.


Sie werden oft im gleichen Atemzug wie ihre Landsleute In Flames, Arch Enemy und The Haunted erwähnt und haben es im Verlauf des letzten Jahrzehnts geschafft, sich aus dem kargen, südschwedischen Boden eine starke Präsenz in der internationalen Metalszene aufzubauen. Die Rede ist von Soilwork. Sie spielen irgendwo zwischen Death und Melodic Metal, doch wer genau hinhört, erkennt genug andere Einflüsse, so dass es schwierig wird, eine Schublade für die Jungs aus Göteborg zu finden. Björn „Speed“ Strid bezeichnet seine Musik als „epischen Metal mit dieser typisch Skandinavischen Melancholie“. Im Interview gab uns ein entspannter, ganz und gar bodenständiger Björn bereitwillig Auskunft über das Aufnehmen von Doppel-Alben, die wöchentlichen Schwierigkeiten einer international verstreuten Band und über das Kämpfen gegen pferdegrosse Enten.

MF: Hi Björn, wie geht es dir?

Björn: Bestens. Danke! Es schneit zwar gerade etwas viel in Schweden, aber was will man machen? In der Schweiz seid ihr ja auch nicht viel besser dran.

MF: Das ist wahr, nur gerade heute hatten wir Glück. Ich habe heute mindestens zwei Minuten Sonne erwischt.

Björn: Lacht.

MF: Small-Talk beiseite: Du hast ein neues Album heraus gebracht, nein, gleich deren zwei. Das Album «The Living Infinite» ist ein Doppel-Album mit zwanzig Songs. Wie habt ihr euch dazu entschieden, und was für Schwierigkeiten musstet ihr dafür überwinden?

Björn: Wir sind alle zusammengekommen und haben beschlossen: Es ist an der Zeit, ein episches Metal-Album zu produzieren. Ein echtes Doppel-Album, weisst du!? Mit allen Tracks in einer sorgfältig ausgewählten Reihenfolge. Warum? Nun, hin und wieder muss man sich selbst herausfordern um wieder zu wissen, was in einem steckt. Natürlich war es streckenweise schwierig für mich und die Jungs, zwanzig brandneue Songs zu produzieren, aber wir waren für etwa acht Monate offstage, das heisst, wir hatten genug Zeit, um es zu unserer Zufriedenheit aufzunehmen. Und mehr Songs bedeuten auch mehr Möglichkeiten zu experimentieren…

MF: Ist es eure Absicht, euren Stil aktiv zu ändern, oder sind die neuen Einflüsse eher ein Produkt eurer Entwicklung als Band?

Björn: Ich glaube, dieses Mal war es wirklich wichtig für uns, die Grenzen unserer Musik zu strapazieren. Weisst du, als Musiker wirst du schnell in eine Schublade gesteckt, die recht starre Grenzen kennt, und manchmal muss man aus diesen Grenzen ausbrechen. Ich meine, das Ganze soll ja interessant bleiben. Es macht keinen Sinn, zweimal das gleiche Album zu produzieren. «Figure Number Five» oder «Stabbing The Drama» waren zum Beispiel wirklich gute und erfolgreiche Alben. Aber diese zu kopieren, wäre nichts für mich, weil das einfach langweilig wird, vor allem, wenn wir es auf die Langzeitentwicklung unserer Band beziehen. Wenn wir etwas Neues machen, wollen wir dabei selbst was dazu lernen. Ansonsten macht die Produktion eines neuen Albums für mich keinen Sinn. Für das neue Album wollten wir ein neues, unverbrauchtes Grundfeeling und ich glaube, das haben wir hinbekommen.

MF: Ich fand «Stabbing The Drama» wirklich gut.

Björn: Ich auch! Aber eben, wir alle entwickeln uns weiter und «Stabbing The Drama» ist nicht einmal halb so kreativ wie «The Living Infinite». Wenn wir keine neuen Richtungen einschlagen, wird die ganze Angelegenheit zur Routine.

MF: Gab es einen speziell erinnerungswürdigen Moment bei der Aufnahme des Albums?

Björn: Tja, lass mich überlegen. Ja, am Anfang, als wir begonnen haben die neuen Songs zu schreiben, das war noch im Herbst 2011, da waren die meisten ziemlich skeptisch, was das neue Album angeht. „Wirklich? Zwanzig neue Songs? Wie wollen wir das machen?“ Das war der Tenor. Viele hatten Zweifel, ob wir es schaffen, genug gute Songs zu kreieren, wollten sich nicht übermässig lange für die Produktion verpflichten oder sonst wie kompromittieren. Aber dann, als wir die ersten acht Songs aufgenommen hatten, was ziemlich flott ging, geschah es. Du sitzt da mit der Band und hörst dir den Song an, den du kurz vorher aufgenommen hast und bekommst Gänsehaut. Du hörst, dass dieses melancholische, dieses typisch skandinavische Lebensgefühl wirklich rüber kommt und weisst, das wird episch. Danach war jeder von uns überzeugt, dass die neuen Scheiben ein Erfolg werden.

MF: Alles was ihr aufnehmt, hört sich sehr präzise an. Ihr startet beispielsweise mit einem langsamen, gefühlsvollen Gitarren-Intro und dann, beim Übergang, ist, wie aus dem Nichts, die ganze Band mit wuchtigen Riffs, schnellen Basslines, und der Double-Bass Drum da. Wenn es dann wieder zurück zum Refrain geht, hört der ganze Spuk präzise auf die Sekunde wieder auf. Seid ihr Perfektionisten, oder ist das einfach gute Studionachbearbeitung?

Björn: Nun, wir haben schon eine Menge Übung und kennen uns recht gut. Meist müssen wir es nicht einmal aussprechen, um zu wissen, wohin sich ein Song entwickeln wird, welche die schnellen Parts sein werden und was wir betonen wollen. Die Band ist wirklich „tight“, das heisst, es kommt kein Ton aus den Lautsprechern, der ungewollt gewesen wäre. Das ist, wenn du willst, schon Perfektionismus, aber wir würden es nicht als solchen bezeichnen. Uns ist wichtig, dass die Leute wissen, dass alles wirklich so aufgenommen wurde. Bei jeder unserer Aufnahmen steckt eine echte Band dahinter und nicht irgendein Kerl an einem Computerprogramm, der alle Fehler ausmerzt. Bei uns gibt es keine Tricks und nur minimes Editing.

MF: Wie oft musst du etwas aufnehmen, damit es auf die CD gepresst werden kann?

Björn: Es kommt unglaublich darauf an, welchen Vocal-Style wir aufnehmen wollen, welche Laune an diesem Tag herrscht, was für ein Tage es ist, wie schwierig oder schnell der Part gestaltet ist. Manchmal müssen wir jeden Song zwanzigmal und mehr einspielen, bis alle zufrieden sind und manchmal klappt's schon bei der ersten Aufnahme. Und manchmal nehmen wir etwas zigfach auf, nur um dann zur ersten Aufnahme zurück zu kehren, die uns dann am besten erscheint. Verrückt, manchmal.

MF. Wie wirst du eher genannt, Björn oder Speed?

Björn: Ha ha. Manche nennen mich Björn, manche Speed. Mir ist das persönlich völlig egal. Viele Leute, die mich aus dem Umfeld der Band kennen, nennen mich Speed. Ich glaube, dass es so etwas wie mein Stage-Name geworden ist. Speed kommt von der Zeit, als ich noch ein Teenager war. Die in der Klasse haben angefangen mich Speed zu nennen, weil ich den ganzen Tag lang schnellen Thrash und Death Metal gehört habe. Irgendwann ist es geblieben und ich habe es akzeptiert. Es ist jetzt aber nicht so, dass mich jemand von meiner Familie oder dem näheren Umkreis Speed nennen würde. Definitiv mehr ein Soilwork-Ding.

MF: Ich glaube, ich werde dich Björn nennen. Doch trotzdem, wie wichtig ist Geschwindigkeit in der Musik für dich? Ist es etwas absolut Notwendiges, oder eher wie ein Gewürz, das der Musik ihren Geschmack verleiht?

Björn: Am Anfang habe ich wirklich nur das schnelle Zeugs gehört und bin voll drauf abgefahren, aber mittlerweile bin ich älter geworden und mag es, auch langsamer anzugehen. „Speed“ (sowohl Künstlername als auch „Geschwindigkeit“) ist ein Bestandteil von mir, es gehört zu Soilwork, gehört zu Metal und wird wahrscheinlich immer ein Bestandteil davon sein.

MF: Was denkst du von der Metal-Szene? Was würdest du ändern, wenn du könntest?

Björn: Wie ich bereits erwähnt habe: Mit dem Aufkommen immer neuer Programme, leistungsfähigeren Prozessoren und höherem Leistungsdruck entwickelt sich die Metalszene zusehends zu einem Studio-Ding. Die Songs werden roboterhaft und seelenlos, wenn der Hang zur digitalen Überarbeitung zu stark wird. Ich glaube auch nicht, dass dies den Fans am Ende gefällt. Ich finde, es muss Platz haben für kleinere Fehler, für Grenzen, dessen was möglich ist. Schliesslich sind wir alle ja nur menschlich. Manchmal machen genau diese kleinen unperfekten Details eine Band aus, manchmal muss man improvisieren, weil ein Part zu schwierig ist und etwas Anderes daraus machen. Es gibt viele Bands, die, sich aber an prätentiösen Riffs und Beats wagen, die sie dann live nicht erreichen können. Ich bin kein Fan davon und hoffe, dass es ein Umschwenken gibt, auf natürlicheren, realeren Sound. Persönlich glaube ich, dass sich die Szene in Richtung Progressiv bewegt und wir noch viel mehr in dieser Richtung hören werden.

MF: Würdest du sagen, ihr hört euch live gleich wie auf der Scheibe an?

Björn: Live hört sich immer anders an. Manchmal bist du im Adrenalin Fieber, manchmal triffst du den Ton nicht, manchmal fucktst du auf der Bühne ab. So what? Das geschieht, irren ist nur menschlich. Beim Live-Spielen geht es um die Show, um das Erlebnis, es soll nicht dasselbe sein, wie wenn du daheim vor deiner Anlage sitzt und aufdrehst, es soll rüberkommen, real sein und darf natürlich abweichen. Aber die Essenz der Lieder ist dieselbe.

MF: Was ist deine Haltung zur Online-Piraterie?

Björn: Schwer zu sagen. Viele Leute haben in den letzten Jahren den Schwenk gemacht. Sie laden zwar immer noch gerne meine Songs vom Internet runter, mit dem Unterschied, dass viele nun dafür bezahlen. Speziell mit diesen ganzen Smartphones. Zum Beispiel mit dem iPhone ist es so einfach geworden, Sound in bester Qualität und zu einem geringeren Preis zu kaufen. Da kannst du mit ein paar Klicks die ganze Diskographie laden. Und das haben wir gemerkt. Die Verkäufe aus diesen Kanälen sind viel höher geworden. Aber wir setzen immer noch auf die bewährte CD. Natürlich gibt es immer noch viele illegale Downloads. Aber nichts kann das Feeling ersetzen, das entsteht, wenn du dir deine CD holen gehst, speziell wenn sie mit Extras kommt. Wenn du in den Laden gehst, das ganze Artwork vor dir ausbreiten kannst, die Lyrics, vielleicht noch andere Goodies. Das ist schon was Spezielles. Es ist ein Sammelobjekt und nicht dasselbe, wie wenn man ein Terabyte an mp3-Files auf einer Harddisk liegen hat.

MF: Was ist eine typische Woche für Soilwork?

Björn: Das ist schwierig. Es gibt keine typische Woche für Soilwork, da wir alle in ganz unterschiedlichen Weltregionen leben. Es gibt keine spontanen Jam-Sessions am Abend. Dirk lebt in Los Angeles, Flink lebt in Portland, ich lebe meist in Schweden, Silvayn in Paris und David in Stockholm. Wir versuchen jede Woche über Skype miteinander zu reden, aber das geschieht längst nicht jede Woche. Ich wünschte, wir könnten öfter zusammentreffen, aber meistens geschieht das kurz vor Beginn einer neuen Tour oder wenn wir an einem neuen Album arbeiten.

MF: Wie oft trainierst du deinen Gesang, täglich?

Björn: Ich würde es nicht täglich nennen. Aber die Stimmbänder müssen warm bleiben, weisst du!? Oft singe ich nebenbei, nachdem ich aufgestanden bin, zu meinen Lieblingssounds und zu meinem eigenen Vergnügen. Oder ich begleite mich mit der Gitarre selbst und versuche, etwas nachzusingen, das in meinem Kopf herumspukt.

MF: Wie ist dein Bezug zu Exzessen, zum Beispiel Alkohol, Drogen. Als erfoglreicher Rockstar hast du sicher ein paar Tipps für uns parat.

Björn: Es kommt darauf an, wie gut du dich selbst kennst. Und das braucht seine Zeit. Am Anfang bist du in einer Art Dauerhigh, beflügelt vom Erfolg und von all den neuen Erfahrungen. Alles ist super, cool, einfach. Es macht Spass. Du tourst und trinkst. Und nach einiger Zeit, fängt es an dich immer mehr „runter zu ziehen“. Einige Jahre her, bin ich sinnbildlich gegen eine Wand gefahren. Nicht, dass ich ein Alkoholiker wurde, aber mein Konsum wurde zuviel, hat mich fertig gemacht und mich immer mehr Energie gekostet. Ich habe dann gemerkt, dass es vielleicht an der Zeit wäre, etwas besser aufzupassen und zu schauen, was ich da eigentlich mache. Man wird auch nicht jünger und ich brauche immer länger, um mich von einem Kater zu erholen. Du bleibst nicht das ganze Leben lang 18 und so Vieles verändert sich auf diesem Weg. Ich glaube, es kommt darauf an, ein Gleichgewicht zu finden. Du musst bestimmen können. Die Kontrolle muss bei dir sein, nicht bei irgendeiner Substanz.

MF: Wie bist du zum Sänger geworden?

Björn: Mehr durch Zufall. Ich war Gitarrist, von Anfang an. Ich wollte nur ein bisschen Songs schreiben und spielen, aber hatte keine Ambitionen, eine Band zu gründen, mit der ich dann durch die Welt touren würde. Klar, es war ein Traum, aber damals hörte sich das Ganze so weit weg an. In der Highschool traf ich dann auf Peter. Ich war ein Metalhead, er war ein Metalhead. Er fragte mich, ob ich singen wollte in der neuen Band, die er gründen wollte. Ich sagte, dass ich eigentlich ein Gitarrenspieler sei, aber „fuck it“, lass es mich versuchen. Und so hat alles seinen Anfang genommen. Ich habe diese Entscheidung nie bereut.

MF: Singst du lieber cleane Parts?

Björn: Ob clean oder screamy Vocals, es geht mir mehr darum, sich selbst auszudrücken. Natürlich geben „screamy Vocals“ den besonderen Kick, vor allem live, aber ich habe gemerkt, dass es viele verschiedene Arten gibt, sich selbst auszudrücken. Es ist für mich wichtig, eine gewisse Präsenz in meine Vocals hineinzulegen. Wenn du nur genügend Intensität in die cleanen Parts hinein legst, dann können auch diese viel Druck aufbauen. Das ist wohl das Wichtigste.

MF: Falls ich Schweden besuchen gehe, was darf ich auf keinen Fall verpassen?

Björn: Nun, das, was mich in Stockholm am meisten beeindruckt hat, ist das Vasa Museum und insbesondere das restaurierte Schiff aus dem 17. Jahrhundert darin. Einfach unglaublich, was die damals schon gebaut haben. Die haben das ganze Schiff in Einzelteilen geborgen und dann von Grund auf zusammengebaut. Und wenn du mehr auf Party stehst, da gibt es eine Bar in Stockholm, eine Art Skybar. Da kannst du über ganz Stockholm schauen, während du Drinks schlürfst. Aber ich komme von Südschweden, und da darfst du vor allem die Küste nicht verpassen. Wunderbare Naturlandschaften gibt es dort.

MF: Würdest du lieber gegen eine pferdegrosse Ente kämpfen oder gegen hundert entengrosse Pferde?

Björn: (lacht) Das ist wirklich eine abgefuckte Frage. Gegen was ich lieber kämpfen würde? Ich glaube, ich würde lieber gegen eine pferdegrosse Ente kämpfen. Ich würde wahrscheinlich verlieren, aber das wärs mir wert, mal eine so grosse Ente zu sehen und gegen sie zu kämpfen.