Livereview: Dirkschneider - Anvil - Palace

03. April 2016, Pratteln – Z7
By Rockslave
Die Geschichte der Solinger Stahlschmiede Accept ist untrennbar mit dem Mann verbunden, der seit 2009 definitiv nicht mehr zum Line-Up zählt: Udo Dirkschneider! Seine unverkennbare Reibeisenstimme war nebst den kernigen Hardrock und Heavy Metal Riffs stets das Markenzeichen und manch einer gab seinem Nachfolger Mark Tornillo (Ex- TT-Quick) zu Beginn kaum eine Chance. Die Geschichte hat uns in Sachen Erfolg inzwischen was anderes gelehrt, aber Udo baute sich sein zweites Standbein ja schon seit 1987 auf, und nach ein paar On/Off-Geschichten mit seinem einstigen Hauptgespann Baltes/Hoffmann legten U.D.O. als Band erst recht los. Es folgten zumeist gute bis sehr gute Alben, obwohl sich das Besetzungskarussell auch in dieser Formation zu drehen begann. Live war es in der jüngeren Vergangenheit dann halt stets so, dass Master Dirkschneider nicht umhin kam, zumindest gegen den Schluss der Gigs hin ein paar Accept-Kracher zu bringen. Diese Situation wurde überdacht und man kam zum Schluss, dass dieses Kapitel definitiv geschlossen wird. Das Vehikel dazu wurde simpel auf „Dirkschneider“ getauft und mit Anvil sowie Palace als Support-Acts bestückt.


Palace

Letztes Jahr feierten die deutschen Heavy Metaller um Meanman Harald „HP“ Piller ihr 25-jähriges Jubiläum. In der Zeit sind sieben Studioalben und ein Live-Album erschienen. «The 7th Steel» als aktuelle Scheibe ist allerdings auch schon gegen zwei Jahre alt, und obwohl sich die Truppe in der Vergangenheit mit Sicherheit den Arsch abgespielt hat, ist der grosse Erfolg nach wie vor ziemlich weit weg bis unerreichbar. Mag ja sein, dass man sich als lokale Grösse etwas besser behaupten kann, aber hier in der Schweiz können Palace auch Anno 2016 absolut nichts reissen. Vor ein paar wenigen Dutzend Leuten steigt der Opener des heutigen Konzertabends im Z7 auf die Bühne und macht gute Miene zum bösen Spiel. Nicht dass die Performance an sich übel wäre, aber die Songs von Palace verfügen über weite Strecken einfach nicht über die Klasse, um andere Combos spürbar in die Schranken zu weisen. Das war vor einigen Jahren in Wettingen als Opener für Destruction schon so und hat sich seither nicht verändert. Wenn man zum Beispiel Grave Digger, Primal Fear oder Saxon als spontanen Vergleich heran zieht, wird einem klar, dass hier handwerklich zwar keine extrem grossen Unterschiede bestehen, aber Palace als Band haben einfach keine guten Songs am Start. Sie sind zwar bemüht, technisch ausreichend fähig und haben offenbar den Spass an der Sache immer noch nicht verloren. Um im Haifischbecken des Heavy Metals oder Rock’n’Rolls im Grundsatz letztlich bestehen zu können, braucht es aber das goldene Händchen des Songwritings, und das haben Palace auch nach einem Vierteljahrhundert nicht am Start. Es gibt praktisch überhaupt keine Hooks, die einem in Erinnerung bleiben und selbst wenn „HP“ und seine Mannen drei Stunden spielen würden. Die Mucke ist schlicht und einfach auf den Punkt gebracht stinklangweilig! Das klingt jetzt alles ziemlich hart, aber sämtliche sieben Palace-Alben werden beispielsweise von «Battering Ram», dem Opener des aktuellen Saxon-Krachers, lockerst an die Wand geklatscht! Ganz zu schweigen von all den anderen zahlreichen wie unsterblichen Klassikern der Briten!! Immerhin muss man den Deutschen zugutehalten, dass sie bisher offenbar nur eigenes Material veröffentlicht haben, doch damit lässt sich bisher kein Blumentopf gewinnen und erst recht nicht das Etikett einer ewigen Gurkentruppe im Vorprogramm der Headliner abstreifen!


Anvil
Wenn man jetzt ganz böse sein will, lässt sich der oben stehende Verriss mindestens zu einem Teil auch auf die Kanadier Anvil übertragen, dessen Karriere auch schon mehrere Jahrzehnte andauert und wohl nie mehr grösser als jetzt werden wird. Doch es gibt einen wesentlichen Unterschied und der gebührt zum einen den überraschend guten Releases der jüngeren Vergangenheit, angeführt durch das brandneue tolle Album «Anvil Is Anvil» und dem Umstand, dass Steve „Lips“ Kudlow (g/v) und Robb Reiner (d) als Metal-Urgesteine mit massig positiver Aura gesegnet sind. Man kann gar nicht anders, als sie lieb haben. Mit den beiden Frühwerken «Metal On Metal» (1982) und «Forged In Fire» (1983) hatte man zwar zwei Genre-Klassiker der Kategorie Speed und Thrash am Start, doch es sollte kurz darauf Metallica und Slayer vorbehalten sein, die grossen Erfolge einzufahren und beispiellose Karrieren hinzulegen. Doch Unkraut vergeht bekanntlich nicht und nach dem Versuch, mit weiteren Alben wenigstens etwas des verlorenen Bodens wieder wett zu machen, wurden Anvil mit der Kino-Doku-Verfilmung ihrer Geschichte « Anvil! Die Geschichte einer Freundschaft» (2009) wieder zum Thema und spätestens mit dem Album «Juggernaut Of Justice» (2011) meldeten sich die Canucks auch musikalisch definitiv wieder zurück. Damit einher ging die erfreuliche Rückkehr auf zahlreiche Festival-Bühnen, wo man bewies, dass der Tank offenbar noch lange nicht leer zu sein scheint. Als persönlicher wie musikalischer Glücksfall wird der Einstieg von Chris Robertson am Bass bezeichnet, der Anvil nach Aussagen von Lips den Karren seit 2014 endlich wieder dorthin führen konnte, wo sich das Trio am besten entfalten kann. Die endgültige Bestätigung dessen wurde mit der neuen Scheibe überzeugend getätigt, und so durfte man sich heute Abend auf einen Auftritt voller Leidenschaft und Spielfreude einstellen. Auch wenn der Stil der Band nicht jeden Metaller und jede Metallerin in Ekstase zu versetzen vermag, war schon nach kurzer Zeit bemerkbar, dass die anwesenden Fans vor der Bühne auf jeden Fall ihre helle Freude am Ahornblatt-Trio hatten. Dass man „nur“ als Special-Guest aufspielte, erklärte die Tatsache, dass mit «Daggers And Rum» und «Die For A Lie» nur gerade zwei neue Songs gezockt wurden. Dafür wurde «Metal On Metal» (1982) gleich mit vier Tracks bedacht und insgesamt gab es Songs zu hören, die man bisher selten bis gar nie live gespielt hat. Ein wiederkehrender Gimmick war hingegen Lips‘ Vibrator-Solo-Einlage bei «Mothra» und ein kurzes Drum-Solo von Robb durfte ebenso wenig fehlen. Nach der obligaten Zugabe «Metal On Metal» und gut einer Stunde Spielzeit brachte der aufbrausende Schlussapplaus die glasklare Erkenntnis, dass Anvil lebendiger und besser als je zuvor sind.

Setliste: «March Of the Crabs» - «666» - «Oooh Baby» - «Badass Rock 'n' Roll» - «Winged Assassins» - «Free As The Wind» - «Daggers And Rum» - «Mothra» - «Swing Thing» - «Die For A Lie» -- «Metal On Metal».


Dirkschneider
Eigentlich hätte ich es ja nicht tun sollen, aber im Zeitalter des Internets muss man längst nicht mehr auf offzielle Live-Alben warten, und so wusste ich zumindest im Sinne eines Appetizers, dass diese Accept-Songs Abschieds-Tour von Udo Dirkschneider unter simpler Verwendung seines Nachnamens etwas ganz Grosses werden wird. Dass es dann aber noch besser kam, unterstreicht die Notwendigkeit des jeweiligen persönlichen Konzertbesuches, dem keine Ton- und/oder Bildträger-Nachlese auch nur annähernd Paroli bieten kann. Dass es Udo damit wirklich ernst ist, also das Kapitel Accept in Würde abzuschliessen, beweist ein Blick auf den Eurotour-Kalender, den fast fünfzig (!) Konzerte zieren. Keine Spur also von wegen „ein leidiges Thema“ aus der Welt zu schaffen, sondern vielmehr ein würdiges Abschiedsgeschenk an alle Fans, die diese Band erst zu dem machten, was sie heute (mehr oder weniger) immer noch ist. Ich selber habe mit Mark Tornillo als Nachfolger von Udo überhaupt kein Problem und sehe die Sache, wenn auch die Ausgangslage nicht die Gleiche ist, wie bei Gotthard mit Nic Maeder anstelle von Steve Lee (R.I.P.) – Es passt und jedem ist freigestellt, wie er damit umgeht. Die Urstimme von Accept wird aber immer Udo Dirkschneider sein und auch bleiben. Somit stellte sich nur noch die Frage, welchen Songs die Ehre gereicht wurde, dass sie ein letztes Mal in diesem Rahmen zu hören sind und welche Klassiker notgedrungen über die Klinge springen mussten. Das aktuelle Line-Up von Dirkschneider entspricht natürlich eins zu eins dem vom U.D.O., das heisst hinter dem Frontmann agieren Fitty Wienhold (b), Sven Dirkschneider (d), Andrey Smirnov (g) und Kasperi Heikkinen (g). Letztere zwei sorgen ja seit 2013 für neue Saitenpower und Sohnemann Sven darf seinem Vater seit 2015 als Nachfolger von Francesco Jovino den Takt vorgeben.

Nach dem anregenden Intro «Just A Gigolo» (interpretiert von…, natürlich David Lee Roth aus seiner Solozeit) gings mit dem Opener «Starlight» gleich volle Kanne los! Damit wurde man zum Album «Breaker» und auf einen Schlag 35 Jahre zurück versetzt. Es war kaum zu glauben, mit welcher Frische einem dieser Oldie um die Lauschklappen geknallt wurde! Keine Spur von blosser Pflichterfüllung, sondern die ganze Ladung voll auf den Punkt gebracht. Udos Stimme war glasklar, sprich kreischte wie in alten Tagen, und die Band gab von Anfang an Vollgas. Nicht unwesentlich war dabei die jugendlich bedingte Power, die von Dirkschneider Junior ausging. Das war genau das, was den Unterschied mitunter ausmachte auch U.D.O. zugute kommt. Was danach mit insgesamt 24 Songs bei weit über zwei Stunden Spielzeit geboten wurde, ist schwer in Worte zu fassen, und man kriegt umgehend Mitleid mit all denen, die sich das haben entgehen lassen. Der Blick auf die unten stehende Setliste treibt einem wahrlich die Tränen in die Augen im Wissen darum, dass man dies so live nie mehr wird erleben können. Immerhin wurde die Show vom Vorabend in Memmingen (D) für die schon fast obligate DVD-Nachlese mitgeschnitten, doch angesichts der schieren Power, die das Hammer-Konzert befeuerte, ein schwacher Trost. Nach einem Highlight befragt, muss ich echt passen, denn es gab nicht einen Hänger, und selbst die Ballade «Winterdreams» (von «Balls To The Wall», 1983) erzeugte eine millimeterdicke Gänsehaut par excellence. Müssig zu erwähnen, dass sich die Stimmung laufend nach oben schaukelte und in lautstarken Mitsing-Parts, wie bei «I'm A Rebel» und der letzten Zugabe «Burning», mündete. Davor walzte das unzerstörbare «Balls To The Wall» bereits alles in Grund und Boden. Wo es bei anderen Bands womöglich peinlich klingt, befiel einen während des Outros mit Frank Sinatras «My Way» wirklich etwas Schwermut und man empfand gleichzeitig eine beinahe greifbare Dankbarkeit darüber, nochmals Zeuge der grandiosen Symbiose dieser legendären Gesangsstimme der Szene und den zugehörigen Songs geworden zu sein. Danke Udo Dirkschneider für dieses unvergessliche Erlebnis und auf weitere Erfolge mit U.D.O. – Flasche leer, ich habe fertig.

Setliste: «Just A Gigolo (Intro)» - «Starlight» - «Living For Tonite» - «Flash Rockin' Man» - «London Leatherboys» - «Midnight Mover» - «Breaker» - «Head Over Heels» - «Neon Nights» - «Princess Of The Dawn» - «Winterdreams» - «Restless And Wild» - «Son Of A Bitch» - «Up To The Limit» - «Wrong Is Right» - «Midnight Highway» - «Screaming For A Love-Bite» - «Monsterman» - «T.V. War» - «Losers And Winners» -- «Metal Heart» - «I'm A Rebel» - «Fast As A Shark» - «Balls To The Wall» - «Burning» - «My Way (Outro)».