Marc Hunter, der
Sänger von Chimaira, ist allgemein als gemütlicher Zeitgenosse bekannt. Sieht man ihn so
vor sich stehen, könnte man das allerdings nicht meinen. Dort wo die Dreads aufhören,
übernimmt der Bart den Rest. Der mit Vorliebe etwas nach vorne geneigte Kopf verleiht
seinem Blick etwas Bedrohliches. Doch wie sich dann im Gespräch herausstellte, lacht der
gute Herr durchaus sehr gerne. Er nimmt sich Zeit, um nach zu denken und seine Sätze zu
formulieren, achtet darauf, dass seine Aussagen richtig verstanden werden und erzählt mit
Vorliebe Anekdoten vom Tourleben, was durchaus die Grundlage für ein interessantes
Gespräch bilden kann... (MH = Marc Hunter)

MF: Wie verlief die Tour bis jetzt?
MH: Ziemlich gut, sogar besser als alle anderen davor.
Wir hatten die Gelegenheit, auf einigen coolen Festivals zu spielen, unsere
Headliner-Shows in England waren ausverkauft, vollgestopft..., ich kann mich nicht
beklagen! Es streckt sich halt einfach ein bisschen...
MF: Chimaira scheinen mit Bussen richtig Pech zu haben! Ihr habt auf dieser Tour
mittlerweile um die vier Stück zu Schrott gefahren, an was liegt's? Kein Glück?
MH: Ja, definitiv. Wir sind mittlerweile sicher, dass wir verflucht sind. Muss irgendwas
mit der ganzen Metal-Sache zu tun haben...
MF: Es sieht mehr oder weniger so aus, als ob ihr euch den Arsch abtouren würdet.
Ihr seid weitaus präsenter als Bands wie Killswitch Engage und Shadows Fall, wieso?
MH: Keine Ahnung, vielleicht kümmern wir uns eben mehr um die europäischen Fans. Ich
glaube nicht, dass das diese Bands nicht tun, aber wir sind darin vielleicht besser.
MF: Bands, wie die eben genannten Killswitch und ihr habt die Aufmerksamkeit der
gesamten neuen Metal-Generation an euch gerissen. Glaubst du, dass da etwas am kommen ist
oder sind wir schon auf dem Höhepunkt dieser Welle?
MH: Ich glaube nicht, dass das schon der Höhepunkt ist, eher, dass wir momentan am
Start-Punkt stehen. Ich glaube, dass all die Bands aus diesem Genre eines verbindet: Harte
Arbeit. Jede Band, mit der wir getourt haben und die ich kenne, arbeitet sehr hart an
ihrem Erfolg. Sieht so aus, als ob sich das Ganze nun langsam lohnen würde...
MF: Könntest du mir eine Kurzvariante der Chimaira-Geschichte geben?
MH: Kurzvariante? Nun, wir haben 1998 mit all dem begonnen, und hier sind wir nun (grinst
spitzbübisch)!
MF: Ähm..., eine "längere" Kurzvariante?
MH: Ok..., die Band wurde von mir und unserem früheren Gitarristen, Jason Hägar,
gegründet. Wir hatten zum damaligen Zeitpunkt alle unsere eigenen Bands und spielten auch
Gigs miteinander. Die ganze Sache bewegte sich im Hardcore-Dunstkreis, aber wir wollten
etwas anderes, weil wir mit Metal aufgewachsen sind und dies auch zeigen wollten. Und so
haben wir uns quasi die Mitmusiker aus der Szene gepickt und probten circa zehn Monate,
bis wir unser erstes Konzert gaben. Es gab dann die üblichen Line-Up Wechsel, wir
erhielten einen Vertrag mit Roadrunner, begannen zu touren und hier sind wir nun.
MF: Euer Schlagzeuger, Richard Evansand, ist erst seit Kurzem bei euch, wie kam es
zu diesem schnellen Wechsel?
MH: Wir waren inmitten einer Headliner-Tour in Amerika unterwegs und haben dazu Soilwork
eingeladen, weil wir Fans und gute Kollegen sind. Unser Schlagzeuger hat uns dann gesagt,
dass er in drei Monaten aussteigen wird. Wir wussten, dass ihm das viele Touren nicht
bekam, er hasste es, er konnte es einfach nicht ausstehen. Also versuchten wir, jemanden
so schnell wie möglich zu finden, um ihn erst kennen zu lernen und dann hinter die
Schiessbude zu stecken. Eines Tages nahm mich dann einer unserer Roadies zur Seite und
sage mir, dass er eben mit dem Soilwork-Drummer gesprochen hätte und dass der nicht mehr
für Soilwork drummen möchte. Sein Traum sei sowieso, nach Amerika zu ziehen und für
eine amerikanische Metal-Band zu spielen. Wir standen dann herum, guckten uns an
"hmm..., wart mal.., na ja..., also..." (Gelächter). Ich erinnere mich, dass
wir Ricky jeden Abend zugeguckt haben, er ist einfach ein unglaublicher Schlagzeuger, die
ganze Band hing an seinen Stöcken. Sogar bevor wir auch nur daran dachten, den
Schlagzeuger auswechseln zu müssen, wünschten wir uns, dass unser Drummer genauso
spielen würde. Er hatte einfach eine unglaubliche Ausstrahlung. Also ging ich eines
Abends zu ihm und sagt ihm, dass da ein freier Posten in unserer Band zu besetzen wäre...
Ich ging auch zu den Soilwork-Jungs und wollte klären, dass wenn Ricky ihre Band
verlässt und zu uns kommt, dass da kein Bullshit entsteht. Sie sagten gleich "Nein,
nein, wir verstehen das, er hat uns angerufen und gesagt dass er es gerne machen würde.
Das ist seine Entscheidung!" Und..., wir haben die Jungs letzthin getroffen und
gingen ein paar Biere trinken, es scheint also nicht geschadet zu haben. (Zur Information:
Laut unbestätigten Quellen gerbt nun der Drummer der Franzosen von Scarve die Felle bei
Soilwork.)
MF: Wer erfand eigentlich das Etikett "New Wave of American Heavy
Metal", das ihr gerne als Bezeichnung eures Stils verwendet? Wart ihr das?
MH: Genau! Es war eigentlich als Witz gedacht. Für die 2001-Tour liessen wir uns Shirts
mit der Iron Maiden Schrift drucken, aber eben mit unserem Namen. Und weil das noch nicht
komplett war, entschieden wir uns eben dafür, das "NWOBHM" ins
"NWOAHM" zu wandeln.
MF: Wie sieht die Zukunft von Chimaira aus, könnt ihr mit dem Geld, das ihr mit
der Musik einnehmt, leben?
MH: Ja, definitiv. Keiner von uns hat einen richtigen Job, ich habe keinen seit drei oder
vier Jahren. Wir werden zwar nicht wirklich reich, aber es reicht zum Leben. Wir sind
ständig auf Tour, und wenn wir nicht touren, dann schreiben wir neues Material und nehmen
es auf. Wir haben gar keine Zeit, um nebenbei in einem Job tätig zu sein. Man muss halt
schauen, dass man das Geld, das man verdient, nicht zum Fenster rauswirft. Ich will nicht
mehr richtig arbeiten, ich kann das schon gar nicht mehr. Wenn ich jetzt einen Job
annehmen würde, das könnte gar nicht funktionieren! Wie gesagt, keiner von uns hat eine
Riesen-Villa oder sonst sowas. Wir sind einfach froh, dass wir uns eine kleine Wohnung und
ein funktionierendes Auto leisten können.
MF: Nehmt ihr eigentlich eher durch die CD-Verkäufe oder durch das Touren Geld
ein?
MH: Das Geld, das wir durch die CDs einnehmen, sehen wir eigentlich kaum. Sogar in
Amerika, wo wir sie bei den Konzerten verkaufen, bringt's nicht viel. Wir kaufen sie für
acht Dollar beim Label und verhökern sie dann für zwölf, wir gewinnen also vier Dollar
pro CD, das ist nicht gerade viel. Es reicht gut für's Essen, aber das war's dann auch
schon. Das meiste Geld kommt durch die Merchandise rein. Wenn die Kids ein Shirt oder
einen Pulli kaufen, dann lohnt sich das eher für uns. Dementsprechend frustrierend ist es
dann auch, wenn du dauernd über diese Bootlegger stolperst. Klar verstehen wir, dass
vielleicht nicht alle Fans das Geld haben und deshalb lieber ein Fünf-Pfund-Shirt
draussen kaufen, anstatt ein Zwanzig-Pfund-Shirt im Konzert-Lokal, wie in England. Aber
genau da spüren wir den Verlust am stärksten, obwohl es uns wiederum auch hilft. Es
hilft, weil dann plötzlich zweihundert Kids mit ihren Shirts Werbung machen, aber es
schmerzt, weil das Geld halt nicht uns zugute kommt. Wenn wir genügend Shirts verkaufen,
kommen wir auch mal für ein weiteres Konzert zurück. Wenn wir genügend CDs verkaufen,
will uns ein Promoter auch buchen. Da macht sich dann die ganze Downloading-Sache
bemerkbar. Ein Beispiel: Wenn wir hier spielen möchten, aber der Promoter bemerkt, dass
wir hier nur fünfzig CDs verkauft haben, dann weiss er nicht, ob sich das Risiko lohnt,
da eventuell nur genau diese fünfzig Nasen kommen. Vielleicht haben wir ja fünfhundert
Fans hier, aber das kann der ja nicht wissen!
MF: Gibt es mittlerweile schon einige neue Songideen?
MH: Nein! Wir sind jetzt schon seit vierzehn Monaten unterwegs und hatten nicht wirklich
Zeit, uns um neue Songs zu kümmern.
MF: Gibt es ein fixiertes Datum für den nächsten Schritt?
MH: Wir wollen im Oktober mit dem Schreiben beginnen und hoffen, das Album Ende nächsten
Mai oder Juni heraus zu bringen.
MF: Eine kürzere Frage: Welches ist die letzte CD, die du dir gekauft hast?
MH: Wow..., ich kaufe kaum CDs, eher DVDs.
MF: Die letzte DVD, die du gekauft hast?
MH: Deine Frage schmerzt meinem Hirn, weil das schon ein Monat oder mehr her ist..., ich
glaube, es war der Film "Hero". Und jetzt erinnere ich mich auch, welche CD ich
als Letztes gekauft habe: Das war eine Hooverphonic-Scheibe! Verdammt, wie hiess die noch
mal..., der Song, ging ungefähr so: "Hm, hm, hm, nanana,...". Oder so ähnlich.
MF: Wie vertreibst du eigentlich deine Zeit auf Tour?
MH: In Amerika kann man all die bekannten TV-Serien auf DVD kaufen, ich gucke also jede
Menge "C.S.I.", "Smallville" und solche Sachen. Das ist meine
Hauptbeschäftigung, die praktisch ununterbrochen meinen Tag beansprucht. Dann stehen ab
und zu noch Schlaf, Essen und Interviews zur Auswahl. Und das Internet! Ich bin immer
Online! Wenn das Konzert-Lokal einen Wireless- Anschluss hat, dann gehts ab!
(beginnt, mit allen Fingern auf dem Tisch rum zu tippen)
MF: Gibt es irgendwas, das du deinen Schweizer Fans noch sagen möchtest?
MH: Ja, ihr seid unglaublich! Das erste Mal als wir hier waren, wussten wir nicht, ob uns
überhaupt jemand kennen würde, aber das Publikum war unglaublich! Ich würde sagen, dass
es die zweitbeste Show der ganzen Tour war. Auch wenn es eher ein kleineres Lokal ist und
nur etwa vierhundert Leute anwesend waren, haben sie die ganzen Zwei-/Dreitausend anderen
geschlagen, die wir sonst jeweils per Konzert haben. Die Show, die noch durchgeknallter
war, war die in Portugal, das kann keiner übertreffen. Die Leute hingen von den
Geländern..., ich meine..., völlig irre! Das kann man nicht beschreiben!
MF: Wann hast du eigentlich begonnen, diese ganze Metal-Moses-Geschichte ab zu
ziehen?
MH: Das war vor circa eineinhalb Jahren, als wir in Cleveland waren. Ich habe da die
"Wall of death" gemacht, weil ich einen speziellen Kick für's Publikum suchte.
Und dann war da dieses lokale Magazin, das einen Reporter zu uns schickte. Der hatte mich
zuletzt vor zwei Jahren gesehen, und damals hatte ich meinen Kopf rasiert. Der Typ kommt
also ins Zimmer, guckt mich an und sagt: "Hey, du siehst aus wie der
Metal-Moses!". Und nachdem ich eben diese "Wall of death" beim Konzert
gemacht habe, meinte ein Kumpel von mir: "Hey, Metal-Moses hat soeben die Rote See
gespalten!" Das war so ungefähr das Dümmste, das ich je gehört habe, aber im
selben Moment machte es irgendwo "Bing!" und ich dachte "Moment
mal...,". (Gelächter)
MF: Ich dachte, dass deine Bezeichnung davon käme, dass du eben die "Wall of
death" durchführst!
MH: Nein, genau das Gegenteil. Die "Wall of death" ist einfach das
"Braveheart"-Ding. Zuerst dachte ich, es sei völlig bescheuert, aber ich habe
mich gerade so gut dran gewohnt...
MF: Wie weit war eigentlich die grösste "Wall of death", die du jemals
zustande gebracht hast?
MH: Die Beste war wahrscheinlich beim Graspop-Festival. Da waren vielleicht neuntausend
Kids, und die beiden Walls waren so weit voneinander entfernt, man hätte beinahe zwei
Tourbusse dazwischen parken können. Die waren so was von bereit, und als es dann losging,
war's einfach unglaublich. Wir haben das auf Video! Es macht noch mehr Spass, die ganze
Sache auf Video an zu gucken! Der reine Wahnsinn!
MF: Also wird's vielleicht mal eine spezielle DVD-Sektion geben?
MH: Ja, vielleicht. Mal sehen, was sonst noch so rumliegt. Es gab mal einen kleinen
Zwischenfall. Wir haben das in den Staaten gemacht, in einem "No-Moshing"-Lokal,
und die Security stand zwischen den Leuten. Als wir das Publikum spalteten, konnte man
ihre Verwunderung von den Gesichtern ablesen. Und als die Leute sich bereit machten, um
aufeinander zu prallen, breitete sich die pure Verzweiflung aus, man konnte gerade noch
den "Oh Shit!"-Ausruck von ihren Gesichtern ablesen. Dann rissen sie die Arme
hoch, warfen sich zu Boden und plötzlich waren sie weg! (Gelächter)
MF: O.k. Marc, besten Dank für das Interview!
MH: Ich danke dir!
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