Dream Theater sind mit ihrem neusten Album „Systematic
Chaos“ in Europa unterwegs! Nur von systematischem Chaos
war an diesem Abend im Zürcher Volkshaus nicht viel
spürbar. Eher herrschte richtiges Durcheinander, so dass
mein Interview-Termin mehrmals verschoben wurde. Als es
dann soweit war und ich mich zu Beginn nochmals
abgesichert hatte, ob ich denn tatsächlich die
versprochenen 20 Minuten Zeit hätte, ahnte
ich noch nicht, dass mir nach bereits 10 Minuten
aufgetragen würde, das Gespräch zu beenden. Aber was
solls. Tatsache ist, dass mir mit Gitarrist John
Petrucci ein äusserst sympathischer Zeitgenosse
gegenübersass, der mir die Fragen gewissenhaft, ruhig
und klug beantwortete.
Metal Factory: Auf dieser Europa-Tournee habt
ihr auf etlichen grossen Festivals gespielt zusammen mit
Bands wie Iron Maiden, Ozzy Osbourne und vielen anderen.
Es ist allgemein bekannt, dass eure Musik von anderen
Bands beeinflusst ist. Welche Band hat dich beeindruckt?
John Petrucci: Auf den Festivals habe ich die anderen
Bands gar nicht gesehen. Ich hatte keine Möglichkeit,
Ozzy oder Iron Maiden zu sehen, da es auf Festivals
immer drunter und drüber geht. Es spielen jeweils so
viele Bands und auch der Backstagebereich ist immer
voller Leute. Dazu haben wir noch auf einer anderen
Bühne gespielt als Ozzy und Iron Maiden und hatten so
keine Chance, etwas von ihnen zu hören. Aber die
Festivalumgebung ist immer lustig und natürlich bieten
Festivals eine grossartige Möglichkeit, vor sehr vielen
Leuten zu spielen – Leute, die vielleicht wegen einer
anderen Band gekommen sind und dich sehen. Es ist eine
Chance, neue Fans zu gewinnen.
MF: Also hast du andere Bands mehr Backstage
getroffen als dass du sie auf der Bühne gesehen hast?
JP: Ja, aber eigentlich habe ich gar nicht so viele
Leute getroffen. Es ist lustig, es sind so viele Leute
dort doch grundsätzlich ist es dasselbe wie heute. Du
kommst auf dem Gelände an, gibst Interviews, wärmst dich
auf für die Show, spielst und gehst wieder. Da triffst
du nicht allzu viele Leute.
MF: Ihr habt Megadeth als Vorband mitgebracht. Ich
finde, es ist ein sehr cooles Line-up heute Abend.
JP: Ja, das wird sicher cool. Wir kennen die Jungs von
Megadeth sehr gut, denn wir haben vor ein paar Jahren
bereits die Gigant-Tour (2005) durch die USA zusammen
gemacht, was grossartig war. Es ist schön, die Jungs nun
wieder zu treffen und heute sollte es einen coolen Abend
geben.
MF: Ich habe gehört, dass ihr in Frankreich eine
Jam-Session mit Megadeth gemacht habt, bei der ihr
Pantera-Songs gezockt habt. Stimmt das?
JP: Wir haben in Texas/USA einen Pantera-Song gespielt,
bei dem Dave Mustaine auf die Bühne kam und mit uns
spielte aber wie gesagt, das war nicht in Frankreich
sondern in Texas.
MF: Und heute wird dies nicht der Fall sein?
JP: Nein, nein, heute werden wir nicht jamen.
MF: Zum neuen Album, ich finde es grossartig. Ich
habe dir ja gesagt, dass dieses Interview auch für
metalfactory.ch ist und dort habe ich SYSTEMATIC CHAOS
10 von 10 Punkten gegeben – ich war sehr beeindruckt.
Was ist der Sinn hinter den Ameisen im CD-Booklet?
JP: Danke erst einmal für die 10 Punkte von 10, das war
sehr nett. Die Ameisen symbolisieren den Titel der CD.
Sicher hast du als Kind einmal einen Stein hochgehoben
und darunter tonnenweise Ameisen entdeckt, die in alle
möglichen Richtungen liefen und es machte den Anschein,
dass sie nicht wussten, was sie taten. Tatsache ist
aber, dass die Ameisen ganz genau wissen, was sie tun.
Alle arbeiten und jede einzelne hat ihren eigenen Job -
wie ein geordnetes Chaos. Dieses Phänomen beschreibt
exakt unseren Musikstil.
MF: Aber das Cover ist erst nach dem Albumtitel
entstanden oder?
JP: Ja.
MF: Ich habe mir die Bonus-DVD angesehen und
aufgeschnappt, dass der ursprüngliche Titel des Songs „Forsaken“
„Jetlag“ war. Littet ihr an Jetlag als ihr den Song
geschrieben habt?
JP: Während der Schreib- und Aufnahmephase zu Systematic
Chaos tourte ich zweimal mit G3. Ist dir das ein
Begriff?
MF: Ja, das ist dieses Ding zusammen mit den anderen
grossen Gitarristen.
JP: Exakt. Die erste Tour machte ich zusammen mit Joe
Satriani und Eric Johnsson in Südamerika. Das zweite Mal
ging ich mit Joe Satriani und Steve Vai nach Australien.
Am Tag nach unserer Rückkehr ging ich bereits wieder ins
Studio, litt aber dementsprechend ziemlich an Jetlag.
Und „Forsaken“ war der Song, den wir dann schrieben.
MF: Also beschreibt ihr mit der Melodie den Jetlag
und der Text kam später?
JP: Weisst du was? Der Name „Jetlag“ ist bloss ein
kranker Titel und hat nichts mit dem Text oder der
Melodie zu tun. Er ist nur lustig.
MF: Am Ende von „Rependance“ lässt ihr verschiedene
Musiker zu Wort kommen. Am meisten überrascht war ich,
dass Opeth-Mastermind Mikael Akerfeldt mit dabei ist.
Magst du diesen speziellen Progmetal, den er macht?
JP: Ja, ich finde ihn grossartig. Den Text zum Song „Rependance“
hat Mike Portnoy geschrieben. Er hatte eine Botschaft,
die er weitergeben wollte und er hatte diese Idee mit
den gesprochenen Textpassagen. Anstatt diese Passagen
selbst zu sprechen, liess er all die Leute ein paar
Zeilen sprechen und da er mit Mikael Akerfeldt
befreundet ist, hat er auch ihn mit eingespannt.
MF: Was denkst du über Opeth, die machen doch eine
Art Death-Prog-Metal?
JP: Ja, ich finde die Musik echt cool. Überhaupt
interessiert mich alles, was Musikalität zeigt,
unabhängig davon, was für ein Musikstil es ist.
Hauptsache ist, dass die Leute spielen können.
MF: Ich hätte nicht gedacht, dass ich Opeth mag, doch
ich habe sie letztes Jahr auf einem Festival gesehen und
ich fand sie gut. Da war ich ziemlich überrascht.
JP: Das ist cool. Dies ist genau der Grund, weshalb
Festivals gut sind für Bands. Du wärst jetzt nicht
unbedingt an ein Opeth-Konzert gegangen, hast sie aber
auf einem Festival gesehen und mochtest sie.

MF: Auf der DVD (die Special Edition von SYSTEMATIC
CHAOS enthält eine DVD mit einer Doku zum
Entstehungsprozess der neuen Scheibe, A.d.A.) sah ich,
dass ihr eure Songs in Notenform niederschreibt. Wäre es
interessant für euch, darauf Musikbücher zu machen und
diese zu verkaufen?
JP: Wir geben Musikbücher heraus zu jedem Album, aber
nicht mit den handgeschriebenen Notierungen.
MF: Aber ihr benützt die Noten, die ihr von Hand
niederschreibt, auch für die Musikbücher-Notierungen
oder?
JP: Normalerweise haben wir Leute, die unsere Musik in
Noten umsetzen für die Musikbücher. Wir benutzen also
nicht unsere Noten dafür.
MF: Das neue Album beinhaltet verschiedene sehr
schnelle Songs. Ok, ihr hattet schon immer schnelle
Songs. Wie lange übst du ein Stück, bevor ihr es
aufnehmt?
JP: Eigentlich nicht lange. Normalerweise schreiben wir
die Songs während wir im Aufnahmestudio sind. Wir
schreiben also den Song, wir stellen ihn fertig,
schlafen eventuell eine Nacht darüber und starten dann
mit dem Aufnehmen. Wir üben ihn also nicht viel. Das
Problem entsteht erst, wenn wir die Sachen live spielen
müssen. Dann müssen wir zurück zum Material gehen und es
lernen und üben, damit wir es live spielen können.
MF: Das ist erstaunlich denn ich glaube, eure Songs
sind nicht so einfach zum Spielen.
JP: Nein, das sind sie nicht (lacht). Wenn du in einem
Aufnahmestudio bist, kannst du einen Song auseinander
brechen. Du musst nicht den ganzen Song an einem Stück
einspielen. Du kannst den ersten Teil einspielen, ihn
nochmals anhören und versuchen, ihn zu perfektionieren.
MF: Aber wie wisst ihr, dass die Sachen, die ihr
Schritt für Schritt aufnehmt, live ebenfalls
funktionieren?
JP: Ein Teil davon ist schlichtweg Erfahrung. Wir als
Band existieren seit über 20 Jahre und wissen
mittlerweile, welche Songs live spannend sein könnten
und welche nicht – einfach aus Erfahrung.
MF: Übst du noch unter Tag oder während einer Tour?
JP: Ja, ich übe sehr viel. Es ist auch eine Folge davon,
von was wir vorher gesprochen haben. Ich muss
zurückgehen und die Songs lernen. Wenn du im Studio bist
und ein Gitarrensolo spielst, sitzt du dort und machst
es perfekt und alle sind zufrieden. Das ist das eine.
Aber dann musst du das Solo auch live spielen können,
also gehst du zur Aufnahme zurück, hörst dir an, was du
gespielt hast, lernst es, übst es wieder und wieder und
perfektionierst es. Es ist etwas komplett anderes.
MF: Im Herbst kommt ihr nochmals nach Europa zusammen
mit Symphony X. Glaubst du nicht, dass das etwas zu viel
Prog-Metal ist für einen Abend?
JP: (lacht) Ich weiss es nicht. Es ist lustig, dass du
das gesagt hast weil ich denke, dass es zwei
verschiedene Sichtweisen gibt. Es gibt Leute, die das
mögen, die gerne an Konzerte gehen und Bands sehen, die
denselben Musikstil machen wie wenn wir zusammen auf
Tour gehen mit Queensrÿche oder Symphony X. Andere Leute
aber mögen das gar nicht, die sehen lieber total
unterschiedliche Bands sehen, um eine gewisse
Abwechslung zu haben.
MF: So wie heute…
JP: Ja. Ich weiss nicht, wir werden sehen. Symphony X
sind sehr coole Typen und eine grossartige Band, es
sollte daher ein Riesenspass werden. Hoffentlich werden
es nicht zu viele gespielte Noten werden.
MF: Wir sind nun fast am Ende des Interviews. Hast du
ein paar berühmte letzte Worte für eure Schweizer Fans?
JP: Ok, ich weiss nicht, ob sie berühmt sind, aber für
mich ist der Weg, den wir gemacht haben, unglaublich.
Wir sind momentan in Europa, kommen aus den USA und
starteten mit Touren in Europa vor vielen Jahren. Wir
sind dankbar, dass wir den europäischen Markt über all
die Jahre hinweg aufbauen konnten, sodass wir nun sehr
viele europäische Fans und natürlich auch Schweizer Fans
haben, Freunde in Italien, Deutschland…Das ist nicht
etwas, das über Nacht passiert sondern etwas, das sich
langsam aufbaut. Wir sind sehr glücklich und auch
dankbar, eine solche Fanbase zu haben und wir haben
immer sehr viel Spass, wenn wir spielen. Hoffentlich
geniessen es die Leute, uns zu sehen.
|
|
|