Es war einmal,
vor sieben Jahren, da trafen sich sechs Musiker, um mit einem zu Beginn noch als reiner
Spass bezeichneten Projekt zu beginnen, das sie auf den Namen Schandmaul tauften. Nun,
nach vier Studioscheiben und einer Liveplatte samt DVD, veröffentlichte das Sextett
diesen Sommer ihre Show im Münchner Circus Krone mit Orchester, als CD oder DVD. Neben
dem ausgiebigen Touren in Form der Akustik-Show, versäumten es die Musiker mit Leib und
Seele nicht, auf ausgewählten Open-Airs Rock-Shows zu spielen. So auch auf dem
"Heitere Open Air", wo MF die Gelegenheit nutzte, drei der sechs fahrenden
Musikanten nach ihrem umjubelten Auftritt ausgiebig zu befragen. Dabei standen die
äusserst sympathischen Zeitgenossen redselig Rede und Antwort, wobei Stefan zuerst einmal
seinen Hunger stillen musste. Anna Kränzlein (AK), Martin "Ducky" Duckstein
(MD) & Stefan Brunner (SB)

MF: Noch nichts gegessen?
SB: Ich hatte noch keine Zeit dafür, Interviews, Autogrammstunde und so weiter...
MF: Wie findet ihr das "Heitere Open-Air"? Gefällt's euch?
MD: Wahnsinn! Es ist super! Mit Abstand eines der besten Open-Airs, die wir je gesehen
haben.
AK: Das Schönste überhaupt! Alles ist so stilvoll, die Bäume, die Dekoration
So
was findet man in Deutschland nicht. Hier fühlt man sich sofort wohl.
MF: Ihr habt ja letzten Monat eure Live-Scheibe "Kunststück"
veröffentlicht. Diese ist in den Charts bis auf Platz 12 geklettert. Hättet ihr das je
erwartet?
AK: Also es ist total aussergewöhnlich, mit 'ner Live-Scheibe sowieso, so weit in die
Charts zu kommen. Aber Hoffnung hatte ich jetzt persönlich schon. Weil für mich ist es
als Produkt etwas völlig Anderes. Es kommt etwa gleich mit einer Studioplatte, weil es
einfach etwas komplett Neues ist und es steckt so viel Arbeit da drinnen, viel mehr noch
als in einer Studioscheibe, dass das jetzt einfach eine Bestätigung ist.
MF: Ihr habt ja nicht nur die Gitarren ausgestöpselt und ein Orchester dazu
geholt, sondern die Songs ziemlich stark umgeschrieben, dass die neuen Instrumente darin
auch genügend Platz finden. Ist es schwieriger Songs umzuschreiben, als neue zu machen?
MD: Es ist schwieriger.
SB: Das Schreiben ist gar nicht mal so schwierig sondern vielmehr die Umsetzung.
Geschrieben ist alles immer ganz schnell, aber das dann auch noch in Realität zu
verwandeln...
MD: Und es ist einfach eine ganz andere Art von Herausforderung. Wenn du eine Studioplatte
machst im herkömmlichen Style - da ist ganz klar, welche Aufgabe jeder Einzelne hat. Da
kommt zuerst das Rockfundament von Matthias (Richter, Bass, MF), Stefan und mir, dann
kommen die Mädels und Thomas (Lindner, Gitarre und Gesang, MF) singt dazu. Bei dieser
Platte war aber nicht klar, wer was macht und auch nicht, wie die Scheibe so etwa bei den
Fans ankommen würde. Da haben wir zuerst einmal geschaut, wie sich das Ganze umsetzten
lässt. Kann die E-Gitarre das Orchester ersetzen? Kann man das Ganze auf der
Akustik-Gitarre spielen, dass man zufrieden ist, gerade für mich als Gitarrist. Und genau
das war es, was es schwieriger machte, im Vergleich zu einer herkömmlichen Studioplatte.
Es war einfach ein komplett neuer Weg.
AK: Es ist halt auch schwierig, Rock und Klassik unter einen Hut zu bringen. Klassische
Instrumente kann man nur über Mikro abnehmen und sobald Stefan (d) dann wieder
draufhaute, war das wieder mit drin, in den Mikros. Das war eine elendig lange
Angelegenheit, bis das dann mal gestimmt hat, seufzt Anna genervt und verdreht die Augen.
MF: Wie entstand eigentlich diese Idee?
MD: Ursprünglich ging es von den Fans aus. Viele haben gesagt: "Macht doch mal was
unplugged". Wie klingt ihr unplugged? Dann haben wir im Sommer letzten Jahres einen
Tag frei gehabt, zwischen zwei Konzerten. Da haben wir uns gedacht, bevor wir jetzt den
ganzen Tag in der Prärie rumhängen, mieten wir uns einen kleinen Club, machen ein
Fantreffen, eine Grillparty, spielen da unplugged und checken das mal aus. Das kam super
an bei den Fans und da beschlossen wir, so zu Weihnachten ein paar unserer Liebeslieder
mit Orchester aufzunehmen, so als Special. Das reifte dann in den Köpfen und
schlussendlich merkten wir alle, dass wir nicht zum vierten oder fünften Mal "Willst
du" verbraten wollten. Da dachten wir: "Machen wir's doch gleich richtig."
Und so haben wir, ohne gross an die anstehenden Mühen und Arbeiten zu denken, dieses
Projekt geplant.
MF: Das ging ja auch unglaublich schnell. Ihr habt zwar im Frühling ein paar
Akustik-Shows gespielt, so als Aufwärmübungen, habt dann aber von der Performance im
Circus Krone bis zur DVD-Veröffentlichung ziemlich genau zwei Monate gebraucht. Andere
Bands brauchen dafür ein bis zwei Jahre und das ohne Orchester.
SB: Es haben einfach alle Beteiligten wirklich Tag und Nacht gearbeitet. Wir konnten dann
ja auch nicht viel mehr machen. Wir lieferten unsere Show ab, dann wurde gemischt und das
war's dann auch für uns. Alle Anderen mussten dann halt arbeiten, arbeiten, arbeiten.
AK: Insgesamt hat es ja auch 9 Monate gebraucht, vom ersten Umschreiben bis zur DVD. Wir
hatten im Vorfeld auch zum Planen, Abklären und Organisieren. Das musste Alles im Vorfeld
erledigt werden, damit es dann eben nur zwei Monate dauerte.
MD: Wir haben auch grosses Glück gehabt, dass wir da echt ein gutes Konzert abgeliefert
haben. Es hätte auch in die Hose gehen können, aber so hatten wir Material auf dem Band,
zu dem wir getrost "Schneiden, Mischen, fertig!", sagen konnten. Da musste nicht
gross nachgearbeitet oder verschönert werden.
MF: Was vor allem auffällt, ist, dass euer "Kunststück", trotz des
Härteverlusts, den man ihm anhängen kann, durch die ganze Szene, die Schandmaul vor
allem rockend liebt, so grossen Anklang findet. Wie erklärt ihr euch das?
SB: Das war das Interessante für uns, zu sehen, was in den Songs eigentlich steckt. Ducky
musste umsteigen auf Akustik-Gitarre und dann das Cello und so... - Die Songs sind halt so
kompatibel. Das wussten wir vorher auch nicht. Aber jetzt kann man es eben daran sehen,
dass die Songs nicht schlechter werden, wenn mal die Verzerrung fehlt.
MF: Jetzt habt ihr den Frühling über Akustik-Konzerte gespielt, momentan macht
ihr die Bühnen mit Rock-Shows unsicher, im Herbst wieder akustisch. Führt das nicht zu
Verwirrungen mit den verschiedenen Arrangements?
SB: Es ist ziemlich schwierig. Für mich am Schlagzeug geht es noch am ehesten, bei mir
verändert sich, bis auf den Ablauf, eigentlich nichts. Aber Ducky muss auf der Gitarre
immer direkt umdenken.
MD: Es ist schwer, es ist verdammt schwer. E- und Akustik-Gitarre sind zwei komplett
verschiedene Instrumente und ich bin froh, dass es blockweise passiert. Es wäre die
totale Katastrophe für mich, wenn wir jetzt abwechseln müssten, aber das machen wir ja
Gott sei Dank nicht, sondern jetzt spielen wir Festivals, dann noch ein paar Konzerte mit
Orchester und dann geht es wieder ins Studio. Da haben wir immer ein paar Tage Zeit um zu
üben und uns innerlich umzuschalten. Dann geht es.
MF: Gutes Stichwort! Zur neuen Platte: Wie weit seid ihr schon?
MD: Fertig!
Nach wenigen Sekunden und einem ungläubigen und erstaunten Blick des Schreiberlings
bricht Ducky dann aber in Lachen aus...
AK: Nein! Wir waren letzte Woche (das heisst Anfang August, MF) alle sechs zusammen auf
einer Burg und arrangierten die Songs, die stehen soweit, jetzt wird gerade die
Vorproduktion gemacht, dann kommt die Akustik-Tour und dann schon Studio.
MF: Die Songs sind fertig?
MD: Die Songs stehen alle.
MF: Kleine Vorinformation?
AK: Bunte Mischung, Alles ist dabei!
SB: Nee, ich glaube, was diesmal wirklich der Fall ist, ist, dass ruhige Nummern noch
viel, viel ruhiger werden, dafür aber die harten dafür viel, viel härter. Wir haben
mehr Extreme gesucht. Bei den Ruhigen kein Schlagzeug nichts und bei den Harten - BANG -
gibt's voll einen auf die Glocke!
MD: Aber es ist 100% Schandmaul. Wir haben uns nicht verbogen, wir haben nicht versucht,
einen Stilbruch zu begehen, es ist einfach so gekommen. Es war auch eine sehr geile
Arbeit, das haben wir so auch noch nie zuvor erlebt, dass sich die ganze Band für eine
Woche komplett zurückzieht und wirklich Alle an diesen Songs arbeiten. Das war sehr
produktiv, sehr konstruktiv und es sind einfach Hammerstücke herausgekommen. Die Platte
wird randvoll. Ich lehn' mich jetzt mal aus dem Fenster und sage, dass mindestens 14
Nummern darauf zu finden sein werden, ich sag mindestens, wahrscheinlich werden es mehr...
SB: Wir haben jetzt auf alle Fälle 17 Nummern fertig, was damit passiert - Vielleicht
kommen noch ein paar in die Schublade für's nächste Album. Es gibt 'ne Single, da werden
Songs drauf sein, die nicht auf dem Album zu finden sein werden... - Wir nehmen jetzt
zuerst alle auf, dann stimmen wir ganz demokratisch ab. Erst kriegt jedes Kind die gleiche
Liebe, dann wird sortiert.
MF: Gedenkt ihr zur Single auch ein Video zu drehen?
MD: (sofort) - Nein!
MF: Theoretisch gesehen sollten die Musiksender und auch die Radios langsam
aufmerksam werden auf euch, es führt doch kein Weg an euch vorbei, wenn ihr regelmässig
in den Charts seid!?
AK: Also es ist immer noch so, dass wir von denen grundsätzlich ignoriert werden. Die
gibt's einfach nicht..., unsere Szene. Wir sehen es deshalb auch nicht ein, uns dafür
gross anzubiedern. Wir funktionieren so, kommen Schritt für Schritt weiter, und wenn die
nicht wollen, dann muss es nicht sein.
MD: Warum sollst du einen Song rausbringen, dann ein Video dazu machen und dich dabei
verbiegen? Das macht keinen Sinn!
MF: Die beiden Stücke, die ihr für "Kunststück" neu geschrieben habt:
Werden die auf der kommenden Platte zu finden sein?
SB: "Der Clown" hat seinen Platz definitiv auf der Akustik-CD gefunden, mit
Streichern und Klavier. Der würde anders wohl auch nicht funktionieren. "Bin
unterwegs" haben wir angedacht, vielleicht noch mal umzuschreiben, mit E-Gitarre zu
unterlegen, aber wir haben momentan so viel neues, gutes Material, denke ich zumindest,
das uns mehr am Herzen liegt. Die beiden Nummern sind veröffentlicht worden, die hatten
ihre Hochzeit. Vielleicht in zwei Jahren oder so.
MF: Wann dürfen wir mit der neuen Platte rechnen?
MD: So etwa im April 2006.
MF: Werdet ihr dann auch vermehrt in der Schweiz touren? Viele Fans hier, und das
ist auch meine Meinung, beklagen sich darüber, dass ihr nicht so viel hierher kommt.
MD: Das wird nächstes Jahr mehr. Wir haben vor, nach dem Release der Platte, so eine
Kurztournee durch die Schweiz zu machen, wo wir drei, vier Konzerte nacheinander spielen
werden. Aber das muss natürlich alles step by step gehen. Wir von uns aus wollen ja in
die Schweiz.
SB: Es liegt ja nicht an uns. Du musst auch immer drauf schauen, dass du ein Gebiet dann
nicht noch überspielst. Wir kommen echt saugern in die Schweiz. Wir sind hier sehr, sehr
gerne, weil die Schweizer halt einfach so nett, höflich und zuvorkommend sind...
AK: Und sie haben die beste Schokolade!
MF: Das hört man gerne. Was haltet ihr von der These, dass deutschsprachige Musik
momentan so beliebt ist, wie seit der NDW nicht mehr? Worin seht ihr den Grund dafür?
Glaubt ihr, es ist ein Hype?
SB: Ich weiss nicht ob es ein Hype ist. In Deutschland hast du einfach das Problem, und
ich denke, das existiert immer noch, dass deutsche Musik lange uncool war. Es begann 1949,
nach dem zweiten Weltkrieg, da hat sich kein deutscher Interpret getraut, Deutsch zu
singen, denn es war die Nazi-Sprache. Das hat sich dann in den 80ern relativiert, mit der
"Neuen Deutschen Welle", die ist dann jedoch auch wieder verschwunden. Ich
glaube nicht, dass es ein Hype ist, ich glaube, es etabliert sich einfach wieder.
Sportfreunde Stiller, Wir Sind Helden oder Nena, die nicht tot zu kriegen ist... - Ich
glaube, Deutsche und deutschsprachige Menschen wollen einfach wieder vermehrt deutsche
Musik hören.
MD: Beziehungsweise, die Menschen wollen die Texte wieder verstehen, was 'ne Zeit lang
eher peripher interessant war und nur um seichte Unterhaltung ging. Man muss ja schon
sagen, dass die Musik in den 80ern und Anfangs der 90er ziemlich Larifari war. Die Leute
wollen die Texte verstehen, und wollen so auch aus ihrem Alltag ausbrechen. Es ist nicht
mehr alles so easy, wie es mal war. Was Jobs angeht oder das Finanzielle, geht alles
langsam aber sicher den Bach runter und die Menschen suchen sich da halt ihre Auswege, zum
Beispiel in der Musik. Dafür muss man die Texte verstehen können. Das ist kein Hype, das
ist eine Entwicklung.
SB: So wie die Franzosen sehr viel französische Musik und die Spanier viel spanische
Musik hören, so fangen die Deutschen wieder an, deutschsprachige Musik zu hören. Es ist
nicht mehr uncool. Als ich angefangen Musik zu machen, das war Anfang der 90er, da wäre
uns nie im Traum eingefallen, Deutsch zu singen.
MF: Glaubt ihr, dass hierauf euer Erfolgsrezept gründet?
SB: Ich glaub', das ist ehrliche Musik, von ehrlichen Leuten, die nicht auf die Bühne
gehen, um sich zu profilieren, sondern um einfach Spass zu haben und mit dem Publikum
zusammen zu feiern. Ich glaub', das ist alles. Also hier ist nichts gestellt, es gibt
keinen doppelten Boden...
MD: Es ist Teamplay, das ist ganz wichtig.
AK: Wir sind wie eine grosse Family. Das merkt man, glaube ich auch, wenn wir auf der
Bühne stehen. Wir studieren unsere Bewegungen oder Scherze nicht ein, wir sind einfach so
und geben uns, wie wir sind. Das schätzen die Leute.
SB: Wir haben, und das klingt jetzt vielleicht blöde, einfach ein riesiges Glück, weil
so, wie wir uns untereinander verstehen, das gibt es nicht überall und danach sehnen sich
ganz viele Leute und das spürt man auch auf der Bühne. Neben all dem Gekasper, das
natürlich dazugehört, sind wir auch live so, wie wir nach dem Konzert oder zu Hause
sind.
MF: Trotzdem, ihr habt in den letzten fünf Jahren wohl nie wirklich Ferien
gehabt, ist man da nicht irgendwann mal ausgebrannt? Wie sieht die Zukunft von Schandmaul
aus?
AK: Also voraussichtlich wird das nächste Jahr wieder voll Schandmaul sein. Wenn die neue
Platte erscheint, touren wir wieder ausgiebig, dann kommen die Festivals und dann gönnen
wir uns vielleicht mal 'ne kleine Pause.
MD: Das heisst aber nicht, dass wir von der Bildfläche verschwinden werden, weil
Stillstand in der Musik darf es nicht und wird es bei uns auch nicht geben.
AK: Aber wir werden uns sicher eine kleine Auszeit gönnen. Zu lange wird das aber nicht
sein, da uns allen immer viel zu schnell langweilig wird und wir schon wieder viel zu viel
Ideen im Kopf haben...
MF: Die da wären?
AK: Das will ich jetzt nicht sagen, aber es brodelt da schon gewaltig...
MF: Und so warten wir voller Hoffnung und Sehnsucht auf das neue Studio-Album und
die darauf folgenden Projekte.
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