Die Szene des mittelalterlich geprägten Rocks (das heisst:
Dudelsäcke meets E-Gitarre) zeigt sich so gross und umtriebig, wie
nie zuvor. Aus allen Winkeln spriessen neue Bands hervor, und auch
die Begründer dieses Genres arbeiten wie die Ameisen an
Studio-Silberlingen und anderen Projekten. Und auch Schandmaul,
neben In Extremo und Subway To Sally wohl die berühmteste Folk Rock
Band, liegen keineswegs auf der faulen Haut herum und
veröffentlichten zu Beginn ihrer Tournee ihr fünftes Album „Mit Leib
und Seele“. Grund genug, Thomas Lindner (TL), Sänger,
Akustik-Gitarrist und einer der Songwriter von Schandmaul über's
Tourleben, Einflüsse und Vorlieben auszufragen.
MF: Gestern habt ihr in Bern im Bierhübeli gespielt. Es war ein
Hammer-Gig, Hammer-Stimmung, wie war's für euch?
TL: Es hat auf jeden Fall gerockt. Wir waren das erste Mal in Bern
und dann gleich um die 900 Leute. Das macht halt schon Spass.
MF: Du hast gestern die Leute noch aufgefordert, mit dem Pogen
aufzuhören. Ist das etwas, was euch stört?
TL: Dieses Rumgepoge macht halt ein paar Leuten Spass und vielen
drumherum eben nicht. Wenn da irgendwo ein kleines Mädel rumsteht
und dann kriegt das was ab, dann ist das Geplärre dann gross. Man
kann sich auch anders körperlich verausgaben. Bei uns springen die
Leute in der Regel senkrecht in die Luft und nicht wild in der
Gegend herum.
MF: Heute ist euer letztes Konzert dieser Tour. Plant ihr bei
solchen Anlässen etwas Spezielles?
TL: Ähm..., jein! Also es ist schon etwas Spezielles, aber das
kriegt das Publikum meistens so nicht mit. Die Crew spielt uns
(Schandmaul) ein paar Streiche und wir spielen ihnen dann auch
welche und natürlich auch der Vorband. Aber die Show wollen wir so
nicht wirklich beeinflussen, weil die Leute ja überall gleich viel
Geld bezahlt haben, und das wäre dann den Besuchern gegenüber
unfair. (Anmerkung des Verfassers: Das mit dem „nicht auf die Show
auswirken“ hat dann doch nicht ganz geklappt, wie im Livebericht zu
diesem Konzert nachzulesen ist!)
MF: Kannst du mal in wenigen Worten die Tour revue passieren
lassen?
TL: Das war auf jeden Fall unsere erfolgreichste Tour bis jetzt und
die Resonanzen waren in allen drei Ländern, Deutschland, Österreich
und der Schweiz positiv. Es ist auch immer ein wenig die
Entschädigung, der Lohn nach der getanen Arbeit. Die Platte ist
draussen und man bekommt zwar schon Kritiken in den Foren und von
der Presse mit, jedoch freut es einen schon am meisten, wenn dann
alle auf die Konzerte kommen, die neuen Songs mitsingen und dazu
rocken. Dann weiss man, dass sich der Aufwand gelohnt hat und dass
man gute Arbeit geleistet hat.
MF: Läuft bei euch im Tourbus eher Musik oder schaut ihr euch
Filme an?
TL: Weder noch! Auf dieser Tour haben wir keine einzige CD, keine
einzige DVD laufen lassen, sondern haben lediglich gequatscht
miteinander. Wir sind 16 Menschen in diesem Bus – aber es ist
unterschiedlich, das kann man nicht festmachen. Es gab auch eine
DVD-Zeit.
MF: Bevor ihr den Song „Käpt'n Coma“ live zum Besten gebt, nehmt
ihr immer eine zwielichtige Flüssigkeit zu euch. Was ist das?
TL: „Käpt'n Coma“! Der Titel ist aus der Situation heraus
entstanden: Wir haben uns ja, um die Songs der neuen Scheibe
fertigzustellen, zurückgezogen auf eine Burg, passenderweise. Da
haben wir dann den ganzen Tag am Material gearbeitet, alles
arrangiert und so weiter und abends haben wir dann gegrillt. Einmal
kamen wir dann auf die Idee, etwas zu flambieren und dafür haben wir
uns am Tag darauf im Supermarkt einen Rum gekauft. Darauf probierten
wir ihn. Zwar war er extrem scheusslich, seine Wirkung zeigte sich
jedoch trotzdem und so schrieben wir dieses spezielle Instrumental.
Der Rum hiess eben „Käpt'n Cormack“. (wie auch ein berühmter Pirat -
Anm. des Verfassers)
MF: Ist das eine Veränderung für Schandmaul, so eine Platte
aufzunehmen, alle zusammen am selben Ort?
TL: Auf jeden Fall! Wir wollten das nicht mehr zu Hause im Proberaum
machen, denn wenn jeder in seinem bekannten Umfeld ist, dann kann
man sich nicht voll und ganz darauf konzentrieren. Das hat sich auf
jeden Fall ausgezahlt und drum werden wir das jetzt auch weiter so
machen.
MF: Wie stellen Schandmaul eine neue Setliste zusammen?
TL: Zuerst hocken mal alle zusammen und dann beginnt das grosse
Gezanke. Nein - grundsätzlich ist das hier ja mal die Tour zum neuen
Album, also werden zuerst mal die Songs ausgewählt, die wir vom
neuen Album wirklich spielen wollen, der Rest ist dann einfach: Man
nimmt einfach das „Best-Of“ der letzten Platten, die Songs, von
welchen man weiss, dass sie live funktionieren und füllt auf. Jetzt
sind wir ja in der Lage, da aus dem Vollen zu schöpfen. Wir kommen
ja nicht in die Bredouille, da zu wenig Material zu haben.
MF: Nun eine kleine Selbstreflexion: Kommentiere alle eure
bisherigen Veröffentlichungen mit wenigen Worten: „Wahre Helden“.
TL: Unser Erstlingswerk. Es gab uns erst als Konzertband und wir
mussten fleissig schnell Songs schreiben... - Es sind auch ein paar
Coversongs darauf zu finden („XX“ - Anm. des Verfassers). Es war ein
typischer Schnellschuss. Dennoch haben sich auch ein paar Songs von
dieser Scheibe bis heute im Set halten können, wie das
„Teufelsweib“.
MF: „Von Spitzbuben und anderen Halunken“...
TL: Eigentlich kann man „Wahre Helden 2“ sagen. Als wir begannen
überall live zu spielen, da hatten wir zu wenig Songs und so haben
wir schnell weiter geschrieben. Sie klingen aber wieder sehr gleich,
immer der selbe Stil. Die zwei gehören zusammen, wurden ja auch
schnell hintereinander produziert.
MF: „Narrenkönig“.
TL: Das war dann die erste Veränderung. Zum ersten Mal mit externen
Produzenten gearbeitet, zum ersten Mal nicht im Heimstudio
aufgenommen, sondern in ein professionelles Studio gegangen. Ich
denke, wenn man die ersten drei Alben als Zyklus sieht, dann ist
„Narrenkönig“ der Abschluss dieser Trilogie. Es hat auch sicherlich
die besten Songs dieser drei Scheiben. Es war ein grosser Schritt
nach vorne und das bis dahin reifeste Album von uns.
MF: Kann man sagen, dass ihr nach diesen drei Alben einen kleinen
Image-Wechsel begangen habt? Auf jeden Fall, was das Auftreten, das
ganze Drumherum betrifft?
TL: Image-Wechsel nicht insbesondere, es gab einen Musiker-Wechsel,
und weil wir alle sechs an den Songs arbeiten, kommt da natürlich
auch ein neues Gewürz hinzu und ein anderes fällt weg. Überhaupt war
es auch für uns ein grosser Umbruch, was das ganze Drumherum anging.
Man wuchs zusammen, der Name ist Programm, wie „Pech und Schwefel“.
Man lernte sich noch besser kennen und wagte den Sprung zum
professionellen Musikertum, bis dahin arbeiteten wir ja noch alle
nebenbei. „Wie Pech und Schwefel“ war dann halt etwas Neues,
Grosses, bis dahin unser erfolgreichstes und wichtigstes Album. Man
wurde auch viel mehr wahrgenommen, von der Presse und den ganzen
Medien.
MF: Nun zur neuen Scheibe „Mit Leib und Seele“.
TL: Da ist der Name wiederum Programm. Wir haben viel verändert,
viel Neues ausprobiert. Die angesprochene Klausur (das Zurückziehen
auf die Burg) hat ganz speziell gewirkt. Wir haben auch nicht mehr
im Overdub-Verfahren, das heisst nicht zuerst das Schlagzeug, dann
Bass, dann Gitarre, sondern wir Jungs haben eigentlich alles
zusammen, praktisch live eingespielt und die Mädels und der Gesang
wurden dann draufgesetzt. Wir haben auch nicht mehr im Studio in der
Nähe gearbeitet, sondern sind zu sechst weggefahren, haben da auch
wieder für mehrere Wochen zusammen gewohnt und das gibt dann schon
'ne mächtige Stimmung. Wir sind auch sehr stolz drauf.
MF: Wie kam denn das spezielle Cover-Artwork zustande? Viele
Leute, darunter auch ich, fragen sich, was da dahinter steckt.
TL: Man muss halt verstehen, was da dahinter steckt, um es zu
begreifen, auch das ganze Booklet benötigt dies. Ein Kunstmaler und
ein Kunstfotograph haben sich da hingesetzt und die Lieder angehört,
jedes für sich und so bekam dann jeder Song eine Doppelseite, auf
welcher beide Künstler die Lieder mit ihren Arbeiten interpretiert
haben. Das Cover ist dann einfach das, was dem Maler zum Titel „Mit
Leib und Seele“ eingefallen ist.
MF: Wie sieht es mit den Texten aus? Entstanden diese diesmal
auch in der Klausur?
TL: Nein. In der Klausur haben wir nur arrangiert, die Songs
schrieben wir eigentlich auch nicht dort. Es kam einfach jeder mit
Ideen angereist und wir stellten sie dann zusammen. Texte entstehen
eigentlich die ganze Zeit über. Schon während der Tour zu „Wie Pech
und Schwefel“ begann die Songwriting-Phase für „Mit Leib und Seele“.
Obwohl, auf dieser Tour noch nichts passiert ist in dieser Hinsicht.
MF: Woher holt man sich denn die Inspiration für die Lyrics?
TL: Aus dem Leben an sich. Einfach die Augen aufsperren. Bücher,
Filme... - und Monate später inspiriert eine Erinnerung daraus dann
zu einer neuen Geschichte. Ich lese auch viel, gerade in der
Fantasy-Literatur und das ist dann das, was mich meist inspiriert.
MF: Was liest du momentan?
TL: Momentan lese ich ein Buch, welches ich schon einmal gelesen
habe. Eine Trilogie von Wolfgang Hohlbein und Bernhard Hennen, „Das
schwarze Auge“. Eine Geschichte, die zum berühmten Rollenspiel
geschrieben wurde und das les' ich jetzt noch einmal, da wir
angefragt wurden, ob wir den Soundtrack zu einem Hörbuch dazu machen
würden. Und dazu zieh ich mir jetzt die Geschichte noch mal rein,
damit ich wieder auf dem Laufenden bin.
MF: Kommen wir zu deiner anderen Band, Weto. Mit der hast du ja
angefangen, zusammen mit Ducky (g) und Stefan (d). Was hat dazu
geführt, dass du diese wieder ins Leben zurück gerufen hast? Jetzt
noch mit Matthias am Bass.
TL: Was heisst da wieder? Weto waren nie weg, halt wegen Schandmaul
einfach auf Eis gelegt. Ohne Weto hätte es Schandmaul nicht gegeben
und es ist halt 'ne andere Seite von mir. Es sind viele, viele gute
Songs geschrieben worden, die es einfach verdient haben, auf eine
Platte zu kommen. 1993, zur Gründungszeit, war uns das noch nicht
möglich, und da haben wir jetzt einfach Lust drauf. Es ist halt
etwas ganz anderes.

MF: Kurze Beschreibung?
TL: Es hat nichts mit Märchen zu tun. Es ist harte und schwere Musik
mit kranken Texten über die Abgründe der Psyche.
MF: Wann können wir mit dem ersten Output rechnen?
TL: Voraussichtlich kommt im November die Platte raus und im
Dezember machen wir dann eine kleine Clubtour durch Deutschland.
Wann die Schweiz und Österreich drankommen werden, hängt ein wenig
von den Reaktionen auf die Scheibe und der D-Tour ab.
MF: Mal 'ne kleine Schweizer-Frage: Welche Bands aus der Schweiz
kennst du?
TL: Uhh..., da muss ich kurz überlegen. Gotthard kommen doch aus der
Schweiz, die sagen mir ein wenig was. (Betretenes Schweigen)
MF: Krokus? Weltberühmte Hardrock Band aus den 80ern...
TL: Noch nie gehört.
MF: Celtic Frost?
TL: Muss ich schon wieder passen. Ich scheine nicht so Schweizer
Musik zu hören...
MF: Was sind dann sonst so deine Faves?
TL: Ziemlich gemischt eigentlich. Rammstein, Tool, U2, die Band
Live, Guano Apes. Also eigentlich einfach zeitgenössische, härtere
Gitarren-Musik.
MF: Danke vielmal Thomas, für das ausführliche Interview. Noch
eine letzte Frage: Wo siehst du Schandmaul in fünf Jahren?
TL: Ein bis zwei Alben weiter, geile Alben natürlich. Dann noch
geilere Konzerte, so viele wie möglich einfach. Eigentlich sollte es
einfach so weiterlaufen, wie es jetzt gerade ist, dann bin ich mehr
als zufrieden.
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